Christian Rainer: Die Freiheit, die sie meinen
Eine Woche wie die vergangene – und eine Oppositionspartei schafft es mit übel riechenden Abwinden in die Schlagzeilen. Das zeugt von Kraft und Umsicht. „FPÖ-Mandatar packt aus: Hofer völlig isoliert, ganzer Klub auf Kickl-Linie“ befindet der „Kurier“ am Freitag. „Blaues Aufbegehren gegen Hofer“ schreibt der „Standard“.
Da wirft also der wichtigste Minister der Pandemieregierung das Handtuch, weil ihn der Koalitionspartner ins technische K. o. getrieben hat. Doch es sind die Freiheitlichen, die in Turbulenzen geraten.
Wenn Sie über Rudolf Anschober und seinen Nachfolger lesen wollen, dann breitflächig im aktuellen Heft (gerne auch mein Kommentar „Ein Dank an Rudolf Anschober“). Wir wollen uns an dieser Stelle aber der FPÖ widmen.
Wer „Die Freiheit, die sie meinen“, den Titel dieses Kommentars, googelt, bekommt 18 Millionen Ergebnisse. Interessant ist eines der früh gereihten Resultate, eine „Presseaussendung LG Dörfler“ aus dem Oktober 2009. Berichtet wird da über die Präsentation der Neuauflage eines Buches von Jörg Haider aus 1993 mit dem Titel „Die Freiheit, die ich meine“. Landeshauptmann Gerhard Dörfler habe sich im Beisein seines Stellvertreters Uwe Scheuch aus diesem Anlass „dankbar für den faszinierenden Menschen Haider, der ein neues und modernes Kärnten gebracht hat“, gezeigt.
Was soll ich Ihnen sagen? Dörfler und Scheuch sind inzwischen rechtskräftig verurteilt worden, ebenso Haiders Pressesprecher und sein Büroleiter. Haider hat Kärnten via Hypo-Kollaps in die Pleite geführt. Wäre er nicht schwer betrunken bei einem selbst verschuldeten Autounfall ums Leben gekommen, so wäre auch er verurteilt worden.
Inzwischen war die FPÖ bekanntlich Juniorpartner (gar nicht so junior) einer Bundesregierung unter Sebastian Kurz. Ohne das Ibiza-Video – einer der längsten Einträge in der Liste politischer Skandale Österreichs und dennoch nur ein Zufallsprodukt – würde die FPÖ noch immer regieren: mit Parteichef Norbert Hofer als Vizekanzler und Herbert Kickl samt Reitergarde im Innenministerium.
Hofer, weiter Parteichef, und Kickl, inzwischen Klubobmann, liegen einander nun also in den Haaren. Das hat die Partei wieder in die Schlagzeilen gebracht: Hofer will der Maskenpflicht im Parlament Genüge tun. Kickl löckt wider den Stachel, weigert sich und stellt die Gefährlichkeit des Coronavirus prinzipiell in Abrede. Johannes Hübner, ein FP-Bundesrat mit antisemitischer Vorbelastung, trägt den Streit an der Seite Kickls in die Öffentlichkeit.
Schamlose und plumpe Korruption, wahnhafte Exzesse mit oder ohne Rausch, interne Machtkämpfe, öffentlich ausgetragen (und ewiggestrige Haltung): Das ist die FPÖ, wie wir sie seit ihrer Parteiwerdung aus den braunen Trümmern des Zweiten Weltkrieges kennen.
Laut der letztwöchentlichen profil-Umfrage würden derzeit 19 Prozent der Österreicher jene FPÖ wählen, die hier eben beschrieben wurde. „Tendenz steigend“, wie es so schön heißt. Zwischendurch hatte Norbert Hofer bei seiner Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten auch schon mal die halbe Bevölkerung hinter sich.
Als ich vor einem halben Jahr meinte, die Blauen würden bald wieder über die 20-Prozent-Marke kommen, hielt man das für sehr unwahrscheinlich. So weit sind wir jetzt. Mit den Streitereien in der Koalition, dem Psychoterror namens Corona-Krise und den darauffolgenden Verwerfungen können es in absehbarer Frist auch wieder 25 Prozent werden.
Dass der „Ibiza-Ausschuss“ Ibiza-Ausschuss heißt, weil das Spitzenduo der Freiheitlichen sich in feuchten Träumen an allem vergehen wollte, was ihm zwischen die Finger kommen würde, ist längst vergessen: Die Scharfrichter der Partei im Parlament gerieren sich dort so, als ginge es um Verbrechen der Volkspartei. Das Volk glaubt’s auch noch.
Abhandlungen sonder Zahl sind darüber geschrieben worden, warum die FPÖ immer wieder schnell auf die Beine kommt, egal was geschehen ist, warum sie regelmäßig ein Viertel, in Umfragen bis zu einem Drittel der Wähler hinter sich versammeln kann. Befriedigende Antworten darauf gibt es nicht. Dass charismatische Figuren wie Jörg Haider (und mit Abschlägen Heinz-Christian Strache) dafür verantwortlich seien, stimmt angesichts von Hofer und Kickl (und Manfred Haimbuchner in Oberösterreich) offensichtlich nicht.
Die Malaise auf besondere Wesenszüge der österreichischen Wähler zu schieben, ersparen wir uns heute.
Aktuell ist die Schwäche der Sozialdemokratie an der Stärke der Freiheitlichen maßgeblich beteiligt. Von dort kamen die blauen Wähler zum größten Teil, und sie gehen nicht zurück. Dabei wäre das Personalangebot mit Pamela Rendi-Wagner und Michael Ludwig (sie ohne Team, er mit Team) gar nicht schlecht. Dann liegt es wohl am Programm: Das fehlt. Ich könnte keine fünf Punkte benennen, mit denen sich die Sozialdemokratie
glasklar von Volkspartei und Grünen unterscheidet. Könnten Sie?