Christian Rainer: Ums Eingemachte
15 Monate und zwei Wochen. So lange hat es gedauert. Jetzt ist die türkis-grüne Regierung dann doch noch dort angekommen, wo das scheinbar Unvereinbare vereinbart werden muss. Lassen Sie uns diesen Zwiespalt mit zwei Worten ausdrücken: „Ideologiegetriebene Bestrafungsfantasie“. Diese Worte stammen von einem ÖVP-Nationalratsabgeordneten – nicht von irgendeinem, sondern von Karlheinz Kopf. Er ist Generalsekretär der Wirtschaftskammer und war auch schon stellvertretender ÖVP-Obmann, er war ÖVP-Klubobmann sowie Zweiter Nationalratspräsident. Wenn Kopf spricht, spricht also die Volkspartei. Aus taktischen Gründen nur wurde er vorgeschickt, wo es doch galt, jemandem etwas auf die harsche Weise öffentlich auszurichten.
Herr Kopf hat seine Worte gewählt, um die Tätigkeit der Grünen zu charakterisieren, spezifisch der grünen Umweltministerin, genauer deren Vorschlag, die Mineralölsteuer im Bedarfsfall zu erhöhen. In Anbetracht seiner politischen Position hat also die Volkspartei ihren Koalitionspartner kritisiert. Genauso gut hätte Sebastian Kurz selbst sagen können, dass sein Regierungspartner ideologischen Fantasien nachhängt, noch dazu sadistisch geprägten. Kopf statt Kurz, das dient nur der Verschleierung.
Nach fast eineinhalb Jahren bricht also erstmals auf, was schon zu Anfang als die Krux dieser Koalition erkannt worden war. Feuer und Wasser. Wirtschaft versus Ökologie. Ideologie gegen Ideologie.
Wir waren zwischenzeitlich abgelenkt. Corona hatte uns den Blick auf den tiefen Graben zwischen den beiden Parteien genommen. Bei der Bekämpfung der Pandemie war kein Platz für Ideologie: Ein wenig Kleinkrieg da, Imponiergehabe dort – damit hat es sich schon. Auch die Scharmützel der Migrationspolitik nahmen uns die freie Sicht: Ärgerliche Zurufe anlässlich der Abschiebung von Kindern, Wortgefechte um Moria – mangels Migrationsdrucks an Österreichs Grenzen wird die Unvereinbarkeit der Positionen nicht auf die Probe gestellt.
Bei der Klimapolitik hingegen geht es ums Eingemachte. Da reicht schon ein Entwurf des neuen Klimaschutzgesetzes – geleakt an die „Kronen Zeitung“, aufgekocht in der ORF-„Pressestunde“ –, damit die Volkspartei ihr nukleares Arsenal paradieren lässt.
Was ist denn dieses „Eingemachte“? Für die Grünen ist die Klimaagenda ihre Geschäftsgrundlage. Diese Grundlage ist über die Jahre deutlich breiter geworden. Als die Partei 1986 erstmals in den Nationalrat kam, schon zuvor bei der Aubesetzung 1984 war Umweltschutz ein Luxusthema. 35 Jahre und ein Grad Erderwärmung später geht es um das Überleben der Menschheit. In Österreich manifestiert sich diese Bedeutung immerhin in einer Regierungsbeteiligung. (Kurz davor war die Partei und damit der Advokat des Klimas allerdings aus dem Parlament geflogen.) In Deutschland ist das Gewicht größer, dort kann die grüne Parteivorsitzende im Herbst Kanzlerin werden und damit eine der mächtigsten Politikerinnen – generisches Femininum – der Welt.
Wenn es bei der Volkspartei um das „Eingemachte“ geht, sprechen wir hingegen von der Wirtschaft. Das kann programmatisch konnotiert sein, indem das freie Unternehmertum gepriesen wird (ein Treppenwitz daher, wenn Herr Kopf, der Vertreter der Kammerzwangsmitgliedschaft, zur Verteidigung ausrückt). Konkret geht es um Industrie, Klein- und Mittelbetriebe und Bauern. Und diese Wirtschaft hat den Klimaschutz über Jahrzehnte als Feind gesehen. Er beschränkt und verhindert unternehmerische Tätigkeit, erzeugt enorme Kosten, schmälert die Gewinne.
Wir lernen: In der türkis-grünen Koalition trifft Eingemachtes in lange gewachsener Abneigung auf Eingemachtes. Feindliche „Ideologien“ ortet Kopf. Vor einem halben Jahr, beim Flaschenpfand, hatte er den Ausdruck „Belastungspakete im ökologischen Mäntelchen“ verwendet. Dagegen sind Migration, Identitätspolitik und Drogenfreigabe Orchideenthemen.
Kann das gut gehen?
Es muss gut gehen. Grün und Türkis sind nicht nur gewachsene Feinde. Sie sind auch die natürlichen Verbündeten beim Versuch, die Klimakatastrophe einzudämmen. (Mit der ohnmächtigen Sozialdemokratie – siehe unsere Titelgeschichte – ist da kein Staat zu machen.) Die Grünen haben die entsprechende Agenda und vertreten die künftigen Generationen. Wirtschaftsparteien wie die ÖVP sitzen auf dem Geld und damit an den Hebeln der Macht, ohne sie wird man nichts ausrichten können.
Wir hatten es schon fast vergessen: Nun sind wir dort, wo sich diese Koalition rechnen kann. Rechnen muss, wenn wir überleben wollen.