Christian Rainer: Vermischtes geordnet
In dieser Woche also Vermischtes. Nicht, weil viel los wäre, sondern weil eher wenig los zu sein scheint. Was natürlich absurd trügerisch ist angesichts von Corona. Aber man gewöhnt sich an alles. Oder auch nicht, wenn wir diese Gewöhnung am Leitartikel der Vorwoche messen wollen: Der Text war übertitelt mit „Mundschutz macht unmündig“, und er hat mehr Reaktionen hervorgerufen als die meisten meiner Texte in diesem Jahr: Mails, Anrufe, Postings, Tweets. Zwei Drittel Zustimmung, ein Drittel Ablehnung (mitsamt dem mehrfach geäußerten Wunsch, ich möge doch selbst an Covid-19 erkranken).
Die Ablehnung wäre geringer gewesen, hätte man sich nicht nur am Titel orientiert. Das war für manche der Echauffierten freilich unmöglich, weil sie es erst nach Aufforderung für sinnvoll hielten, den zugehörigen Artikel zu lesen (oder auch das nicht). Bei anderen hat sich trotz des Textes kein Verständnis eingestellt. „Mundschutz macht unmündig“ ist keine Zuspitzung. Vielmehr ging und geht es weiterhin darum: Die Sinnhaftigkeit oder gar Notwendigkeit von Masken in Supermärkten ist durch nichts belegt, keine Ansteckung wurde bisher nachgewiesen, geschweige denn ein Cluster – in Supermärkten wohlgemerkt. Daher ist es irrational und eine Entmündigung der Bevölkerung, wider wissenschaftliche Evidenz in diesem Umfeld Masken vorzuschreiben. Selbst Sebastian Kurz sprach von Symbolpolitik. Hingegen wäre es sinnvoll, Masken bei fast jeder anderen Ansammlung von Menschen in geschlossenen Räumen vorzuschreiben. Wiewohl es eben gar nicht konkret um die Verpflichtung zum Tragen von Masken geht, sondern um die Entmündigung und Irreführung der Bevölkerung bei der Frage, was sinnvoll ist.
Allerdings: Ebenso nachdenklich macht mich, wie viele Menschen sich meiner Kritik angeschlossen haben. Hier bricht sich hochemotional Frustration über die Corona-Situation Bahn, auch über eine Regierung, die beim Eindämmen der Pandemie alles richtig gemacht hatte. Bestünde die FPÖ samt Heinz-Christian Strache derzeit nicht selbst nur aus hochinfektiösen Clustern, hätte sie längst Zulauf. Den wird sie unter dem Druck der Wirtschaftskrise mittelfristig ohnehin bekommen.
Ein Übergang: Pamela Rendi-Wagner, selbst Medizinerin, hat seit Wochen eine Maskenpflicht im Supermarkt gefordert. Sie tut sich (wie auch die NEOS) schwer, der Regierung am Zeug zu flicken: Zu viel Kritik wäre verantwortungslos, zu wenig Kritik wirkt nachgerade wie Zustimmung. Aber Corona ist das kleinste Problem der SPÖ-Chefin, das größere heißt Hans Peter Doskozil. Im Wochentakt fährt ihr der burgenländische Landeshauptmann in die Parade: mit Zweifel an ihren Fähigkeiten, mit Widerspruch zu ihren Vorschlägen, im Kokettieren mit einer eigenen Karriere in der Löwelstraße.
Was treibt den Burgenländer, was treibt er? Darüber habe ich in der vergangenen Woche mit Bundes- und Landespolitikern gesprochen. Einigkeit herrscht über die Parteigrenzen hinweg: Es sei eine Charakterfrage, und er habe diese Frage nicht zu seinem Besten beantwortet. Was Doskozil tue, sei unerhört, schändlich, schädlich – umso mehr, weil kein Ziel erkennbar ist: Er regiert mit absoluter Mehrheit. Er muss nicht von eigenen Problemen ablenken. Und er will sicher nicht in die zerstrittene Bundespartei und die undankbare Oppositionsrolle nach Wien wechseln.
Charakter also.
Derweil im Verteidigungsressort: Klaudia Tanner erlebt keine guten Zeiten. Alles, was schiefgehen kann, geht schief. Die Ministerin bekommt Struktur und öffentliche Darstellung nicht in den Griff. Militärs gegen Beamte. Offiziere gegen Politiker. Finanz- gegen Verteidigungsministerium. Ein Konzept wird präsentiert und schnell wieder begraben. Der Nationale Sicherheitsrat tagt oder auch nicht. Sogar der Oberbefehlshaber am Ballhausplatz hat mit dem Säbel gerasselt.
Das Bundesheer krankt daran, dass es von der Politik nicht ernst genommen wird. Eine dem Jahr 2020 entsprechende Verteidigungsdoktrin fehlt. Wofür, wogegen, wie, mit welchen Mitteln? Man darf daran zweifeln, dass sich irgendeine Regierung der vergangenen Jahrzehnte ernsthaft um das Heer geschert hat. Höhepunkt: der Zivildiener als Verteidigungsminister, fast eine Beleidigung.
Ich bin davon überzeugt, dass Österreich seine Neutralität aufgeben müsste, um eine sinnvolle Strategie entwickeln zu können. Die Neutralität verbietet das Nachdenken. Sie führt zwingend in mentale, rechtliche, militärische Widersprüche. Ernsthafte Verteidigungspolitik ohne Bündnis ist unbezahlbar und damit unmöglich.
Laut einer neuen Studie ist das Bundesheer bei den Österreichern beliebt wie nie. Paradox: Das müsste man ändern, indem man aus der Freiwilligen Feuerwehr eine Streitmacht macht.