Christian Rainer: 4,5 Wahlempfehlungen

Der abstruse Wahlkampf spiegelt nicht die Qualität der Kandidaten. Schade, dass nicht Kern UND Kurz gewinnen können.

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Österreich wählt am kommenden Sonntag. profil erscheint mit einer aktuellen Printausgabe am Tag darauf. Dies ist also die letzte Gelegenheit für eine Bilanz der vergangenen Monate, für ein Round-up, für eine Empfehlung auf dieser Basis. Und die lautet so und vielleicht überraschend: Ich kann mich, auf mehrere Jahrzehnte Journalismus zurückblickend, an keine Wahl mit besseren Spitzenkandidaten erinnern. Das macht die Wahl schwierig. Ein Luxusproblem.

Über diese außerordentliche Qualität darf nicht hinwegtäuschen, dass dies auch der schmutzigste Wahlkampf ist, den ich erlebt habe, mit täglich neuen Eskapaden, weit jenseits dessen, was Journalisten in verbaler oder inhaltlicher Zuspitzung hätten erfinden können. Der Dreck kam ausnahmsweise nicht von der FPÖ und auch nur in Spurenelementen von den Medien, er kam aus der SPÖ und wird als Affäre Silberstein in die Geschichte eingehen: Wir sollten uns jedenfalls nicht vom Gegenangriff der Sozialdemokraten täuschen lassen. Die unerträglich böse und die perfid freundliche Facebook-Seite wurden vom SP-Wahlkampfteam produziert, und selbst nach Aussage des Silberstein-Mannes Peter Puller wusste die ÖVP nichts über deren Urheberschaft.

Auf das Wohlergehen der Österreicher in den nächsten fünf Jahren wird diese Affäre freilich keinen Einfluss haben, allenfalls kann sie die FPÖ und die Kleinparteien stärken. Doch sie erzählt uns ein wenig über Christian Kern, sie beschreibt dessen Schwächen: Man würde ihn nicht unbedingt „als Personalchef eines Unternehmens einsetzen“, meint profil-Ressortleiterin Eva Linsinger in einem Video für profil.at, und sie nimmt dabei Bezug auf Georg Niedermühlbichler, den Kern zum Partei- und Kampagnenmanager gemacht hatte. Aber davon abgesehen zählt der SPÖ-Chef gemeinsam mit Sebastian Kurz „zu den besten Europas“, wie profil vor einigen Monaten auf der Titelseite schrieb. Fremdschämen war gestern. Kern ist ein nachdenklicher Intellektueller mit satter Lebenserfahrung. Vor allem: Erstmals seit Langem werden bei einem linken Kanzler linke Wirtschaftspositionen sichtbar. Auch wenn man sie nicht teilt, ist das erfreulich. Wer sollte Kern, pardon, die SPÖ wählen? Menschen, die an das Funktionieren von staatlichen (beziehungsweise sozialdemokratischen) Interventionen glauben und in der Folge an eine gleichmäßigere Verteilung von Reichtum. Und Menschen, die keine Bedenken gegenüber höherer Staatsverschuldung haben.

Kurz hingegen: Ihm traut man eher zu, dass er die verkrusteten bürokratischen Strukturen aufbricht, die weit klaffenden Schlupflöcher des Sozialsystems schließt, dass er also einen Systemwandel herbeiführt. Warum ihm eher? Wenn er Kanzler ist, muss er schnell liefern, und da wird das Freischwimmerabzeichen in der Außen- und Migrationspolitik nicht reichen. Den Zug zum Tor hat er mit seinem Beitrag beim Schließen der Balkanroute bewiesen, mehr noch in der Art, wie er die ÖVP übernahm und in Form brachte. Wer ihn wählt, will die Leistung des Einzelnen fördern und die sozialen Hängematten aushängen (um den Preis, dass gelegentlich auch wirklich Hilfsbedürftige abstürzen). Und der ÖVP-Wähler sollte darauf vertrauen, dass Kurz sich nicht – vielleicht voll des Übermuts und mangels Lebenserfahrung – als Spieler erweist, sondern als fundierter Stratege.

Für mich ist die FPÖ die einzige Nichwahlempfehlung.

FPÖ. Da deren Pläne für den Umgang mit Migranten inzwischen deckungsgleich zu liegen kamen, sind sie bei der Entscheidung zwischen SPÖ und ÖVP kein Kriterium. Bei einer Entscheidung für Heinz-Christian Strache sehr wohl. Er würde sich als Kanzler oder als dessen Vize weit radikaler geben in Wort und in Tat bis hin zum Rassismus. Wer das will, muss ihn wählen. Alle anderen sollten sich an die Jahre 2000 ff. erinnern. Für mich die einzige Nichtwahlempfehlung.

Aber die Grünen. Sie vertreten – anders als die SPÖ – gegenüber Ausländern ebenso wie in Wirtschaftsthemen linke Positionen, sind also die einzige linke Partei im Spektrum. Das ist anzuerkennen. Selbst wenn man diese beiden Positionen für falsch hält, kann man sich Ulrike Lunacek als Reibebaum für eine künftige Regierung wünschen. Und natürlich, wenn man die Abkühlung der Erderwärmung nicht alleine den Kräften des Marktes überlassen will – auch kein schlechtes Argument.

Mit Peter Pilz habe ich persönlich ein Problem, da ich ihn als Verräter an seiner Partei sehe. Er hatte die Regeln für die Erstellung der Kandidatenlisten miterstellt und mitgetragen. Als es ihn erwischte, wollte er das nicht akzeptieren und gründete eine eigene Bewegung – im Wissen, das würde die Grünen mittendurch spalten und existenziell gefährden. Wer die Sache pragmatischer sieht, kann die Liste Pilz als pain in the ass aller anderen Politiker wählen – bisweilen allerdings auch all jener, die Pilz für einen der Ihren halten. Eine halbe Empfehlung also.

Und schließlich die NEOS – an sie die somit vierkommafünfte Wahlempfehlung: Für welches Weltbild sie stehen, ist mir zwar nicht klar, und ihr Einfluss wird überschaubar bleiben. Aber im Schnitt hat die Gruppe rund um Matthias Strolz die beste Qualifikation aller im Parlament oder sonstwo vertretenen Mandatare.

Und das wiegt dann ja einiges angesichts meines Urteils, wonach gleich mehrere der Spitzenkandidaten außergewöhnliche Persönlichkeiten sind. In diesem Sinne: Schade, dass nicht sowohl Christian Kern als auch Sebastian Kurz gewinnen können.

[email protected] Twitter: @chr_rai