Christian Rainer: Wenn Politiker das Haxerl heben

Die Krux dieser und anderer Regierungen (aber vor allem dieser): Was ist Symbol, was reale Wendung?

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Was ist da passiert in der vergangenen Woche? Hat Sebastian Kurz sich erstmals ver- und Angela Merkels Flex-Faktor unterschätzt? Wird er die Geister, die er in München rief, in Wien nicht mehr los? Wohin schlingert Horst Seehofer – Rücktritt, Rücktrittsrücktritt, Einlenken in Berlin, Auslenken nach Wien? Braucht Merkel jetzt ausgerechnet Kurz, weil ihr Fortkommen an einem Abkommen mit Österreich baumelt? Oder braucht Kurz Merkel, weil sich die Flüchtlinge (und der Zorn der Autofahrer) ansonsten von Salzburg bis Sopron und von Kufstein bis zum Brenner stauten?

Machen wir uns kein Kopfzerbrechen um die Fragen, welche sich da innerhalb einer Woche windschief gestapelt haben! Die Antworten sind irrelevant. Sie beziehen sich auf Worte, die ihren realen Hintergrund verloren haben. „Es geht in dem Konflikt nur oberflächlich darum, Migranten an der Grenze abzuweisen und dahin zurückzuschicken, wo sie zuerst registriert wurden“, schreiben Robert Treichler und Christoph Zotter in der Titelgeschichte dieser Ausgabe.

Worum geht es dann?

In der Politik geht es in hohem Maße um Gesten und Fiktionen, und wer das Geschehen beobachtet, muss diese Symbolpolitik von Realpolitik zu unterscheiden lernen. Das ist einfach, wenn Wahlkampf herrscht. Denn dann geht es um Versprechen im luftleeren Raum von entsprechend kurzatmigen Kandidaten. Da kommt jeder mit, der Worte von Wahrheit zu trennen weiß. Da wird die Auslobung auch nicht auf die Einlösungswaagschale gelegt. „Wahlkampf ist die Zeit fokussierter Unintelligenz“, sagte der Wiener Altbürgermeister Michael Häupl etwas unfokussiert.

Jetzt ist es anders. Wenn Kurz, Seehofer oder Merkel Symbolpolitik betreiben, dann wollen sie ihre Wähler bei der Stange halten und ihre Funktionäre. Es geht um Macht nach außen und nach innen. Sie heben das Haxerl (richtig, Frau Merkel tut das nicht) und markieren. Das gilt es zu beobachten, zu beschreiben, zu verwerfen – und von der Realpolitik abzugrenzen. Realpolitik ist, wenn Donald Trump einen Höchstrichter ernennt und damit die Geschicke der USA auf Jahrzehnte vorbestimmt; wenn er Emmanuel Macron oder Wladimir Putin anpinkelt, macht er das nicht.

Was ist die reale Politik der österreichischen Regierung, die sich hinter der Fassade von Schladminger Almhütten und der Fadesse ubiquitärer Reden (Christa Zöchling beschreibt deren Feinheiten in der aktuellen Ausgabe) verbirgt? Schwarz-Blau betreibt konservative Politik. Dazu gehört die Einschränkung der Freiheiten von Ausländern (und der Entzug aller Freiheiten von Flüchtlingen). Dazu gehört auch eine Ausweitung der Polizeikompetenzen (symbolisch in dieser Realität bleibt allerdings die Rosstäuschung des Innenministers). Es geht auch um die Einschüchterung von Journalisten. So weit entspricht die rechte Politik dem Willen der Wähler der FPÖ. Die konservative Gesellschaftspolitik manifestiert sich im Familienbonus: für die Mittelstandsfamilie; nicht für die Unterschicht; tendenziell gegen die Frauenbeschäftigungsquote. Das wird der neuen Arbeiterpartei FPÖ noch zu schaffen machen – und erst recht die konservative Wirtschaftspolitik: Sie hat sich eben mit dem 12-Stunden-Arbeitstag raumgreifend Platz geschaffen. Im Budget für 2018 und 2019 war davon noch nichts zu spüren. Wird aber noch kommen.

Unter dem Strich: Kurz (und ja, auch Strache) jongliert mit einer Unzahl kleiner, oft billiger, meist wirksamer Gesten. Die Realpolitik, die das Leben der Menschen bestimmt, wird von diesem Rausch an Symbolen verdeckt.

Eine intellektuell vergleichbar mühsam zu bewirtschaftende Gemengelage hatten wir in Österreich zuletzt ab dem Jahre 2000. Auch bei Schwarz-Blau I tat man sich schwer, den Sachverhalt korrekt zu beschreiben. Damals wie heute scheiterten vor allem die ausländischen Beobachter an den komplexen Zuständen. Damals verhängten die EU-Staaten Sanktionen gegen Österreich – in Verkennung der Tatsache, dass es sich bei der Koalition von Wolfgang Schüssel mit Jörg Haider um einen Tabubruch von rein symbolischem Charakter handelte, ohne Auswirkungen auf das europäische Gefüge.

Dieses Mal dürfte es sich ähnlich und doch konträr verhalten: Wenn etwa „Der Spiegel“ ein abenteuerlich überzeichnetes, journalistisch ob seiner Subjektivität dubioses Stück über ein faschistoides Österreich schreibt – wie in der vergangenen Woche –, dann ist das eine Themenverfehlung. Dieses Mal geht es nämlich nicht um die Symbolik, vielmehr geht es darum, dass Österreich drauf und dran ist, Europa zu verändern. Nicht unbedingt zum nachhaltig Besseren.