Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Wo ist Faymann?

Wo ist Faymann?

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Zur mentalen Abwesenheit gesellt sich nun auch die physische. Altkanzler Franz Vranitzky rang sichtlich um Worte, als er vom ORF nach dem Verbleib von Werner ­Faymann gefragt wurde. Nun, er sei ja selbst auch einmal Regierungschef gewesen, und da wisse er wohl, dass man eben „manchmal nicht an zwei Orten gleichzeitig sein“ könne. Neben dem Altkanzler ein freier Sitz in der ersten Reihe, auf den die Kamera genüsslich fokussiert.

Das war am Freitag der vergangenen Woche – Eröffnung des neuen Gebäudes der Europäischen Union in Wien. Ins Bild kamen dann auch noch Josef Pröll, der als Repräsentant der Republik eine Rede hielt, und Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der es sich nicht nehmen ließ, gar ein paar Sätze auf Deutsch zu formulieren. Anwesend auch der Präsident des Europaparlaments, der Bundespräsident, der Außenminister, der Wiener Bürgermeister.

Abwesend bloß der Kanzler, und zwar unentschuldigt. „Es war terminlich nicht möglich“, so die blasse Erklärung seiner Sprecherin.

Was ist bloß mit Faymann los? Jetzt lässt er sich nicht einmal mehr bei den wichtigsten politischen Anlässen blicken, gibt das Feld auch körperlich frei für seinen Stellvertreter und damit für den politischen Widersacher. Inhaltlich hat er ohnehin seit Längerem nichts gemeldet. Auch da spielte ihn Pröll in der vergangenen Woche an die Wand: mit einer inhaltlich bemerkenswerten und formal wohlinszenierten Rede. Die enthielt nicht nur Floskeln und leicht Konsumierbares, sondern Konkretes und für die eigene Klientel schwer Verdauliches. Kalkulierte Kritik auch aus den eigenen Reihen, das macht die Politik bunter.

So fügen sich die jüngsten Tage passgenau in das Bild der vergangenen Monate. Das Land wird vom Finanzminister regiert. Der hat das gewandtere Auftreten, ein pralles Ressort, die Inhalte. Übers Jahr ist Pröll ein guter Redner samt wohldosierter Körpersprache geworden. Bei Faymann hingegen bangt man bisweilen, ob nach dem notorisch sympathischen wie nervösen Lachen auch noch Sätze folgen werden. Ist der Kanzler zunehmend verunsichert, oder liegt es nur an einer falschen Erwartungshaltung des Beobachters?

Hinzu kommt eben, dass Pröll mit dem scheinbar schwierigsten Ministerium einen Jackpot gelandet hat. Dass ein Finanzminister durch seine Agenden tatsächliche Macht hat, ist ein Faktum. Dass nicht nur Blender wie Karl-Heinz Grasser in diesem Amt höchste Popularität erringen konnten, sondern auch weniger glamouröse Zeitgenossen wie Ferdinand Lacina, war der SPÖ bei der Regierungsbildung vermutlich auch bekannt. Hinzu kommt freilich, dass die ­Finanzkrise – wie von den Sozialdemokraten insgeheim erhofft – den Finanzminister nicht zu einer hilflosen Figur in den globalen Stürmen gemacht hat, ihm vielmehr jede Menge öffentlichen Raum bietet, der – an Prölls Beliebtheitswerten gemessen – offensichtlich genutzt wird.

Faymann hingegen: Jeder Kanzler muss sich sein Format mangels klar erkennbarer Aufgaben erst schaffen, muss seine eigene Identität dem Amt und damit der ganzen Regierung aufzwingen, muss folglich mit Überzeugung führen und formvoll repräsentieren. Das ist Faymann nicht gelungen. Er überlässt die Inhalte dem Koalitionspartner, der dabei auch ehemals „linkes“, jedenfalls aber liberales Territorium okkupiert. Was den SPÖ-Chef wiederum in der eigenen Partei zum Streitfall werden lässt. Und beim Repräsentieren schwänzt er, wie etwa beim Besuch des Barroso.

Was aus der Frage nach dem inhaltlichen wie körperlichen Verbleib des Bundeskanzlers zwingend folgt, ist die Frage nach möglichen Alternativen. Und die wird längst probeweise diskutiert. Michael Häupl will nicht, und er hat im kommenden Jahr die Schlacht seines Lebens in Wien zu schlagen. Rudolf Hundstorfer könnte und würde wohl, wenn man ihn wollte. Um die Sache spannender zu machen: Vergessen wird bei diesen Gedankenspielen stets ein Mann, der im vergangenen Jahr wie sonst nur Josef Pröll zur Beruhigung der Krise beigetragen und damit das Land heimlich mitregiert hat. Notenbankgouverneur Ewald Nowotny. Gegen ihn spricht, dass er nicht will. Weniger gegen ihn spricht, dass er nicht „massentauglich“ sei, wie gelegentlich ins Treffen geführt wird. Das war Alexander Van der Bellen auch nicht (der allerdings keine proletarische Volkspartei zu führen hatte). Nowotnys Charme: Er wäre die einmalige Kombination aus Top-Wissenschafter (Wirtschaftspro­fessor), Spitzenma­nager (Bawag) und gelerntem Politiker.

Aber vielleicht wird alles nicht so weit kommen, und Werner Faymann wird in die Realität zurückfinden.