Christian Rainer: Woran Kurz gescheitert ist
Wenn jemand wie Sebastian Kurz abtritt, sind große Worte gefragt, ein wenig Pathos, vielleicht auch ein gerüttelt Maß an Milde im Abspann. Allerdings erleben wir nicht das Ende einer Ära. Dafür war seine Zeit als Kanzler zu knapp bemessen. Nur in der subjektiven Wahrnehmung erscheint das anders: Während es etwa Werner Faymann auf acht Jahre brachte, war Kurz in Summe nur 39 Monate Regierungschef, drei Jahre und drei Monate. Was an Dauerhaftigkeit fehlte, wurde in dieser Zeit mit Amplituden nach unten und nach oben wettgemacht: zwei Regierungen gesprengt (mit der eben zu einem Gutteil ausgetauschten eigentlich drei), das Experiment mit der rechtsextremen FPÖ, das Experiment mit den Grünen, Ibiza, Corona, hochmögende internationale Auftritte wie auch Rohrkrepierer, zuletzt das eigene Waterloo.
So ist das, was nun endet, wider den Anschein keine Ära. Vielmehr fällt der Vorhang nach dem letzten Akt einer spektakulären Inszenierung, die Minute für Minute vorgab, mehr als eben nur Theater zu sein. Daher scheint es nicht angebracht, jetzt jene großen Worte, Pathos, Nachsicht auszugraben. Sie würden nur dem in diesen 39 Monaten Behaupteten gerecht, nicht aber dem tatsächlich Erreichten oder zumindest dem Gewollten.
Schlimmer noch: Mitten in einer abgrundtiefen Krise steht die Republik ohne erprobte Regierung da. Ein Scherbenhaufen, den die dafür nicht zuständigen Landeshauptleute wegzukehren haben. Bei aller Freude über jedes neu geborene Kind: Dass es da „klick gemacht hat“ und dieser Klick den ÖVP-Obmann zum Rückzug aus der immer noch gewichtigsten innenpolitischen Position bewogen hat, taugt als Argumentation für neun Millionen Menschen in ihrer verqueren Corona-Befindlichkeit nicht. Auch dieser Satz von Sebastian Kurz schmeckt im Abgang bitter: „Mir ist mehr und mehr bewusst geworden, wie viel Schönes und Wichtiges es außerhalb der Politik gibt.“ Hätte er nicht zumindest sein Scheitern eingestehen können, statt uns mit einer letzten Inszenierung zu frotzeln?
„Kein Heiliger, kein Verbrecher“? Geschenkt.
Woran ist Sebastian Kurz gescheitert? Wer also ist für jenen Schaden verantwortlich, der nicht nur in der Führungslosigkeit des Staates besteht, sondern auch in der frustrierenden Enttäuschung der turmhohen Erwartungen? Wirklich nur er selbst? In seinem notorischen Schmalspur-Machiavellismus spricht der ÖVP-Urvater Andreas Khol von einer „Hexenjagd“. Andere reden von missachteter Unschuldsvermutung. Sie irren mehrfach, manche irren mit Vorsatz.
Richtig: Der ÖVP-Obmann ist zwar Beschuldigter in zwei Verfahren nach dem Strafgesetzbuch. Aber er ist nicht verurteilt. Überdies, so ein Vorwurf, würden Kurz und sein Umfeld von Justiz, Opposition und Medien in unzulässiger Härte gejagt. Das zuletzt genannte Argument ist ein naseweises: Die Justiz verfolgt, lässt zu oder stellt ein. Die Opposition prangert an. Die Medien stellen dar. Das ist der demokratische Lauf der Dinge, den die Volkspartei oft genug im eigenen Interesse zu nützen wusste. Die Unschuldsvermutung selbst ist, was sie ist: Sie verpflichtet zum Hinweis auf ein offenes Ende. Sie schützt aber nicht vor den Folgen eines Verfahrens.
Konkret bestanden die Folgen darin, dass die Öffentlichkeit den Sachverhalt selbst werten konnte. Alle Österreicher konnten beurteilen, ob die Schwurbelei über Postenbesetzungen des damaligen Kanzlers vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Demokratie zuträglich war, unabhängig vom strafrechtlichen Gehalt. Das war sie nicht. Und die Österreicher konnten beurteilen, ob Sebastian Kurz beim Sturz seines Vorgängers mit lauteren Mitteln gearbeitet hatte oder mit roher Gewalt und hart am rechtlich Erlaubten.
Nach dem Wortlaut der Chatnachrichten war Kurz informiert und involviert. Der Widerspruch zu all den Beteuerungen über eine neue Art von Politik, zum ehrlichen Miteinander zerstörte das Trugbild vom heiligen Sebastian. Nicht die offensichtlichen Tricksereien, sondern diese Widersprüche waren so groß, dass Kurz sich nicht mehr retten konnte. Die Inszenierungen und die mit diesem Theater verbundenen Erwartungen, also das Gefälle zwischen Behauptung und Realität, haben ihn zu Fall gebracht.
Die Inszenierungen und die mit diesem Theater verbundenen Erwartungen, also das Gefälle zwischen Behauptung und Realität, haben ihn zu Fall gebracht.
Sebastian Kurz ist über einen Zufallsfund gestrauchelt. Wäre das Mobiltelefon des Thomas Schmid mit all den Chatverläufen nicht in ganz anderem Zusammenhang ausgewertet worden, säße der Ex-Kanzler noch im Kanzleramt. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Als Kurz seines Amtes schon verlustig gegangen war, zeigte sich, wie wenig Substanz sein politisches Wollen gehabt hatte. Eine dramaturgische Finte war der anderen gefolgt – so auch im Corona-Management. Österreich als erstes europäisches Land im vierten Lockdown und mit der Impfpflicht als Notmaßnahme. So sieht das schale Vermächtnis jener schmalen Ära aus. Regieren wider Evidenz und nach Popularitätsumfragen. Macht um der Macht willen.
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