„Denkt, verdammt noch mal, endlich wirtschaftlich!“
Die Aussagen sind an Drastik kaum zu überbieten: „Die globale Sicherheit und Stabilität steht auf dem Spiel“, warnt Patricia Espinosa, die oberste Klimabeauftragte der Vereinten Nationen (UN). Ihr Chef, UN-Generalsekretär António Guterres, sprach im August angesichts des jüngsten Berichts des Weltklimarats von einer „Alarmstufe Rot“ für die Menschheit. „Wir stehen am Rande des Abgrunds“, sagte er damals. Mit diplomatischen Wortgirlanden hält sich zu Recht niemand mehr auf.
Um ganz sicherzugehen und wirklich deutlich zu machen, wovon die Experten hier reden: Menschen werden sterben. Aufgrund von Hungersnöten und gewalttätigen Konflikten. Nicht nur in weit entfernten Weltgegenden. Auch in Europa. Auch in Österreich. Nämlich dann, wenn die Menschheit die Erderhitzung nicht in den Griff bekommt.
Genau das soll ab 31. Oktober bei der COP26, der Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow, versucht werden. Wieder einmal.
Schon 1992 einigten sich mehr als 150 Länder in Rio de Janeiro darauf, die Emissionen von Treibhausgasen auf einem Niveau zu stabilisieren, welches „eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindern“ würde. Es gab eine ganze Reihe von Folgetreffen, bei denen die Staatengemeinschaft regelmäßig in global-alarmistische Bestürzung ausbrach, viel versprach und dann wenig tat. Doch die Emissionen sind zwischenzeitlich ebenso gestiegen wie die Temperaturen in der Atmosphäre, während die verheerenden Folgen des Klimawandels – Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände, schmelzende Pole und Gletscher – immer deutlicher zutage treten.
Und wir bewegen uns in die völlig falsche Richtung. Für das Jahr 2021 wird der zweitgrößte Emissionsanstieg aller Zeiten prognostiziert. Von den Pariser Klimazielen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sind die Staaten Lichtjahre entfernt. In der Realität läuft es mit den bisher gesetzten respektive geplanten Maßnahmen auf einen globalen Temperaturanstieg von 2,7 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts hinaus. Ganz ehrlich: Wem angesichts der real drohenden Konsequenzen aus dieser Klimaerhitzung nicht angst und bang wird, der hat sich noch nicht einmal im Ansatz mit der Thematik beschäftigt.
Erstaunlicherweise gibt es aber ganz offensichtlich nach wie vor noch viele solcher Menschen. Was noch schlimmer ist: Sie sitzen oft an den Schalthebeln der Macht. Man nehme etwa Österreich, wo sich Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer, dafür selbst auf die Schulter klopft, im Zuge der ökosozialen Steuerreform der türkis-grünen Regierung die Abschaffung des sogenannten Dieselprivilegs (eine klimaschädliche Subvention) „wegverhandelt“ zu haben. Oder die australische Regierung, die versucht, Druck auf den Weltklimarat auszuüben, die Forderung nach einer raschen Abkehr von fossilen Brennstoffen abzuschwächen.
Freilich: Die Harald Mahrers dieser Welt agieren nicht aus Unwissenheit, sondern im rein ökonomischen Interesse ihrer jeweiligen Lobbygruppen. Man könnte sich jetzt darüber echauffieren, dass berechtigte gesellschaftliche Anliegen dem wirtschaftlichen Fortkommen untergeordnet werden. Doch tatsächlich braucht es auch in Sachen Klimaschutz ein Primat der Wirtschaft. Allerdings anders, als sich die Harald Mahrers dieser Welt das vorstellen. Nämlich eines, das über kurzfristiges Profitdenken hinausgeht und sich nicht an Quartalsberichten oder Legislaturperioden entlanghangelt.
Denn die wirtschaftlichen Schäden durch den Klimawandel gehen in die Billionenhöhe. Das Argument, Klimaschutzmaßnahmen wären kostspielig und bremsten die Wirtschaft aus, hält einer Überprüfung nicht stand. So kommt eine umfassende Studie der Stanford University zu dem Ergebnis, dass eine vollständige Energiewende die Welt 114.000 Milliarden Euro kosten würde. Diese – zugegeben hohe – Investition würde der Menschheit allerdings jährlich Kosten von 41.000 Milliarden Euro sparen: durch geringere Luftverschmutzung und Erderhitzung samt deren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen. Ausgaben, die sich somit ziemlich schnell rentieren würden.
Andere Erhebungen zeigen, dass Länder, die frühzeitig in Forschung, Entwicklung und Produktion im Bereich erneuerbare Energien investieren, wirtschaftlich profitieren, auch in Bezug auf Arbeitsplätze. Nachzügler bei der Dekarbonisierung hingegen werden in den kommenden zehn Jahren deutlich höheren Transformationsrisiken wie sinkender industrieller Wettbewerbsfähigkeit und ökonomischer Instabilität ausgesetzt sein. Vor allem solche Länder, deren Wirtschaft stark von Fossilenergie abhängig ist. Ein erheblicher Teil der internationalen Investorenschaft sieht fossile Brennstoffe und Infrastruktur schon heute als Vermögenswerte ohne langfristige Rentabilitätsaussichten.
Die Hoffnungen in den Gipfel in Glasgow sind also hoch. Nicht umsonst wird er als „Wendepunkt“ bezeichnet. John Kerry, früherer US-Außenminister und Leiter des amerikanischen Verhandlungsteams, nennt Glasgow sogar die „letzte Chance“ der Welt, eine ökologische Katastrophe zu vermeiden. Wir sollten sie ergreifen. Und den Parteien und Interessengruppen, vornehmlich auch jenen, die sich gerne Wirtschaftskompetenz an die Fahnen heften, möchte man ins Stammbuch schreiben: „Denkt, verdammt noch mal, endlich wirtschaftlich!“