Clemens Neuhold: Busen und Burka
Wer in Wien nackt über die Ringstraße promeniert, läuft Gefahr, eine Verwaltungsstrafe von 700 Euro auszufassen – Delikt „Anstandsverletzung“. In vielen EU-Ländern stellen nicht angemeldete Busenparaden oder Nacktläufe eine „Belästigung der Allgemeinheit“ dar. Frei nach Rousseaus Naturzustand sind wir nackt geboren. Dennoch akzeptieren selbst die liberalsten Zeitgenossen Bekleidungsvorschriften für jene, die keine Schamgrenzen kennen.
Ins Gegenteil der Nacktheit, die totale Verhüllung, griff der Staat bisher nicht ein. Die afghanische Burka oder der arabische Niqab symbolisieren zwar die dunkelste Seiten der Menschheit – beim sogenannten Islamischen Staat heißt es Niqab oder Steinigung. Dass der Steinzeit-Islam durch die Globalisierung einmal bis nach Österreich vordringen würde, konnten die Rechtsgelehrten bei Staatsgründung aber noch nicht absehen.
Knapp 100 Jahre später wandeln die ersten Niqabs über heimische Straßen. Und als Reaktion plant die rot-schwarze Regierung nun ein Verbot. Der Jubel kommt ausschließlich von rechts, nach dem Motto: Zeigen wir Islamisten, wer der Herr im christlichen Haus ist. Linke oder Liberale nehmen das Verbot eher achselzuckend hin oder lehnen es ab. Warum eigentlich? Der Staat dürfe den Bürgern keine Kleidervorschriften machen, finden einige. Schon gar nicht dürften Männer Frauen sagen, was sie tragen, mischt sich sogar feministische Kritik darunter – adressiert freilich an heimische Minister, nicht an die Taliban.
Würde man den liberalen Staat heute neu aufbauen, das Burka-Verbot wäre ein logischer Baustein.
Nun hat das Argument, ein liberaler Rechtsstaat müsse auch modische und ideologische Sünden wie die Burka aushalten, viel für sich. Trotzdem lässt sich auch das Gegenteil argumentieren: Würde man den liberalen Staat heute neu aufbauen, das Burka-Verbot wäre ein logischer Baustein. Hier das Verhüllungsgebot gegen komplette Nacktheit, dort das Sichtbarkeitsgebot gegen komplette Verpacktheit. Zwei sinnvolle Kleidervorschriften, damit der liberale Rechtsstaat funktioniert.
Durch Niqab und Burka fühlt sich die Allgemeinheit wohl nicht weniger belästigt als durch den berühmten Nackerten im Hawelka – und sicher mehr bedroht. Denn der radikale Islam, der sich ideologisch unter dem schweren Stoff versteckt, lehnt die liberale Welt außerhalb der Sehschlitze mit jeder Faser seines Wesens ab. Aus Sicht vieler Bürger ist das schlimmer als eine Anstandsverletzung. Es ist eine offene Provokation, die auf Dauer den liberalsten Menschen überfordert.
Nur reiche arabische Touristinnen tragen Niqab, also Schluss mit der Phantomdebatte, lautet der beliebteste Einwand; die Debatte würde nur anti-muslimische Ressentiments schüren, fügt die Islamische Glaubensgemeinschaft hinzu. Nun, in den Wiener Migrantenbezirken gibt es unter radikalen Bosniern und Tschetschenen sehr wohl Frauen, die von der Community unter den Schleier gezwungen werden. Sie sind es, die enorme Ressentiments auslösen. Es würde im Kampf gegen anti-muslimische Gefühle mehr helfen, wenn die Glaubensgemeinschaft noch stärker herausstreicht, dass Niqab oder Burka nichts mit dem eigentlichen Islam oder dem Kopftuch zu tun haben.
Es soll konvertierte Frauen geben, die den Niqab freiwillig tragen und ein Verbot als Eingriff in ihre Freiheit werten. Es schließen sich manche Frauen auch freiwillig dem IS an. Für weniger radikale, die keinem Dschihad-Rambo nach Syrien folgen, stellt sich die Frage, ob ihre Sichtbarkeit nicht grundlegend ist für eine Teilnahme an der Gesellschaft. Die Schulpflicht zwingt Eltern doch auch, ihre Kinder aus der Hand zu geben, damit sie mitmachen können. Ein allgemein akzeptierter Eingriff in die Freiheit, damit Gemeinschaft funktioniert.
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Setzt die Menschenwürde nicht voraus, als Mensch zu existieren? Auch als Frau einen Platz an der Sonne zu haben? In der Gesellschaft existieren vollverschleierte Frauen nicht. Sie werden als vom Mann gesteuerte Geister wahrgenommen.
Das mag in Afghanistan oder Saudi-Arabien per Zwang funktionieren, in Österreich ist spätestens beim Elternsprechtag Schluss. Und am Arbeitsmarkt haben Vollverschleierte ungefähr so viele Chancen wie jemand, der sich nackt vorstellen geht. Frauen im Niqab automatisch die Mindestsicherung zu zahlen, wäre einen Tick zu tolerant.
Seit vielen Jahren nehmen die radikalen Tendenzen in der muslimischen Welt zu. Wie sich die Zahl der Niqab-Trägerinnen in Österreich und Europa entwickelt, ist offen. Steigt sie, wird auch der Druck auf ein Verbot steigen. Denn die Vollverschleierung ist und bleibt unvereinbar mit unserer Gesellschaft. Das frühzeitige Verbot ist ein ehrliches und direktes Signal an Niqab-Trägerinnen und ihre Männer, dass sie mit dieser Grundhaltung nicht erwünscht sind; und ein Signal an jene, die noch kommen wollen, es bitte bleiben zu lassen. Der liberale Rechtsstaat steht dadurch am Ende nicht nackt da, er zieht sich warm an.