Georg Hoffmann-Ostenhof Inklusiver Patriotismus
Als der Saal in Begeisterungsstürme ausbrach, sich die Twelve-Points zu häufen begannen und schließlich klar war, dass Conchita Wurst mit großem Vorsprung gewonnen hatte, da fühlte er, dass da etwas Großes passiert, bekannte Gery Keszler. Was aber war dieses Große?, fragte sich der Life-Ball-Organisator danach. So ging es nicht nur ihm. Selbst so manch TV-Zuseher, der gemeinhin den Eurovision Song Contest als Parade mäßig talentierter Popsänger, die allenfalls mediokre Liedchen trällern, verachtet, ließ sich zur eigenen Verwunderung mitreißen. Und nicht nur, weil ein Österreicher siegte. Ähnlich enthusiastisch war das Publikum auch in anderen europäischen Ländern.
Gewiss: Conchita Wurst hat eine seltsame Schönheit und eine große Stimme. Statt als Travestie-Künstlerin mit Schrillheit zu provozieren, beeindruckt die bärtige Dame mit Anmut und Eleganz, was noch durch die schlichte Inszenierung ihres Auftritts verstärkt wurde. Der Text von Rise Like A Phoenix ist nicht flach. Wenn sich die Musik ihres Siegersongs auch nicht durch besondere Originalität auszeichnet, war sie dennoch eine der besseren im Wettbewerb. Und Conchitas Interviews lassen erkennen, dass es sich bei ihr um eine kluge, witzige, in sich ruhende Person handelt all das kam zusammen.
Aber hat diese bemerkenswerte Kombination schon gereicht, um jene Magie zu erzeugen, von der André Heller spricht? Wohl kaum. Conchita Wurst wird aus einem einfachen Grund keine Eintagsfliege, kein kurzlebiger Hype bleiben: Sie trifft den Nerv der Zeit und politisch voll ins Schwarze. Das hat ihren Auftritt zum wirklich magischen Moment gemacht. Frau Wurst macht Weltpolitik.
Ich weiß nicht, ob Putin zugesehen hat, sagte sie kurz nach ihrer triumphalen Performance, aber er möge wissen: Wir sind nicht aufzuhalten. Bekanntlich führt der Kremlherr nicht nur Krieg nach außen, er hat auch einen Kulturkrieg im Inneren seines Landes entfacht. Neben dem Aufganseln aggressiv nationalistischer Gefühle, mobilisiert er die Massen mit Gesetzen gegen Homosexuelle und mit einer Propaganda, welche die EU als entarteten Homoverein, als Gayropa, denunziert. Damit war er bisher recht erfolgreich. Umfragen zeigen zudem, dass die Russen überaus homophob eingestellt sind. Aber da gibt es offenbar noch eine andere Seite der russischen Seele. Das Fernsehpublikum in Putins Reich reihte Conchita, die das offizielle Russland bereits im Vorfeld als Ausbund an Dekadenz verurteilt hatte, auf Platz fünf. Und wenn man nur die Televoter ohne Jury-Stimmen zählt, dann kam sie sogar auf Rang drei. Tom Neuwirth, der Wirtssohn aus Bad Mitterndorf, der hinter der Conchita-Figur steht, hat im Kulturkampf eindeutig gegen Putin gepunktet. So dumpf und retro, wie Putin sein Volk sieht und haben will, ist es offenbar doch nicht. Putin muss sich Sorgen machen.
Es geht aber auch um Europa. Selbst die konservative deutsche Zeitung Die Welt gerät angesichts des österreichischen Siegs ins Schwärmen: Ein schöner Tag für Europa, das mit Leichtigkeit, Humor und Liberalität zeigt, was in ihm steckt jenseits des zähen Brüsseler Regimentes und der kargen Inszenierungen vor den EU-Wahlen. Und Conchita muss nicht nur Putin zu denken geben, ihr Sieg ist auch eine Ohrfeige für jene im Aufschwung begriffenen Rechtsextremisten, die sich nicht zufällig gerade mit Moskau gegen die EU und ihre Werte der Offenheit und Toleranz verbünden. Die österreichische Dragqeen setzt einen kräftigen und glamourösen Kontrapunkt zum reaktionären Familienbild, das die christlichen und rechtsrechten Parteien propagieren. Ein gutes Signal so kurz vor den Wahlen in Straßburg.
Conchita wirkt auch als einigende Kraft. Estland ist das einzige Land, in dem sie es beim Publikumsvotum nicht unter die ersten fünf Plätze schaffte. Die Menschen mögen sie. Da gab es kaum Unterschiede zwischen dem Osten und dem Westen des Kontinents. Der Song Contest 2014 machte deutlich: Europa ist liberaler als erwartet. Und die europäische Bevölkerung aufgeklärter als ihre Eliten.
Direkte politische Auswirkungen hat Conchitas Triumph auch hier in Österreich, wo erneut über die Gleichstellung von Homosexuellen diskutiert wird. Die ÖVP, die Schwulen bisher partout Ehe und Adoption verwehren will, möchte nun 40 Punkte prüfen, die Ehe und Homo-Partnerschaft unterscheiden. Die FPÖ wiederum hat sich ein weiteres Mal in die Nesseln gesetzt. Die rassistische Anpöbelung David Alabas, des allseits bewunderten Kickers mit nigerianisch-philippinischem Background, durch Andreas Mölzer hat die Freiheitlichen sicherlich ein, zwei Prozentpunkte gekostet. Die Tatsache, dass sich FP-Politiker am Vorabend des Song Contests grob abfällig über die neue Heldin der Österreicher geäußert haben, wird den Ambitionen der Strache-Partei auch nicht förderlich sein.
Und wenn wir unseren Alaba und unsere Conchita feiern, zeigen wir: Zum verbissenen und feindseligen Österreich-Zuerst-Patriotismus von Strache & Co gibt es eine Alternative einen freundlichen Patriotismus, der nicht aus-, sondern einschließt und keine Angst vor dem Fremden, sondern Freude an der Vielfalt hat. Nennen wir das inklusiven Patriotismus. Der hat viele von uns erfasst, als Conchita Wurst in Kopenhagen den Phoenix fliegen ließ.
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