Corona-Bananenrepublik Österreich
Es fällt schwer, das Pandemie-Desaster ohne Zynismus und Wutausbruch zu analysieren. Monatelang versicherte uns die Regierungsspitze von Ex-Kanzler Sebastian Kurz abwärts, Österreich sei am besten und tollsten von allen Staaten durch die Krise gekommen. An prallem Selbstlob mangelte es nie, an ernsthaftem Corona-Krisen-Management ständig. Das Resultat der Superlativ-Politik in nüchternen Fakten: Die Intensivstationen sind heillos überfüllt, Krebs-Operationen werden verschoben. Beim chronisch überlasteten medizinischen Personal droht eine Burn-out- und Kündigungswelle. Die fünfstelligen Infektionszahlen klettern auf immer neue Rekordwerte. Das böse L-Wort vom Lockdown, x-mal ausgeschlossen, wird wieder bittere Realität. Österreich steht erneut auf der Liste der Hochrisikogebiete, Tourismusministerin Elisabeth Köstinger kann getrost die zehn Millionen Euro teure Werbekampagne „Winterliebe“ einstampfen.
Höchste Zeit für einen schallenden Applaus für Österreichs Politik, die natürlich immer alles richtig gemacht hat!
Und in der Corona-Krisenwoche gewohnt chaotisch reagiert: Kanzler Alexander Schallenberg brabbelt unverständliche Sätze wie „einen Lockdown soll es aus Solidarität mit den Ungeimpften nicht geben“. Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer reißt verächtliche Bruhaha-Witze über Wissenschafter, sein Kollege in Oberösterreich, Thomas Stelzer, vollzieht Corona-Bocksprünge. In Niederösterreich dauert die Auswertung von PCR-Tests bis zu 40 Stunden, die Tests sind damit sinnlos, in westlichen Bundesländern macht das Impfen an Wochenenden Pause. Der Föderalismus zelebriert auf offener Bühne sein Scheitern, die Bundesregierung agiert nicht besser: Statt gemeinsamer Auftritte regiert heilloses Durcheinander, der Kommunikationselan der „vier Musketiere“ ist eingeschlafen, Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein abgetaucht. Nun kommt ein „Lockdown für Ungeimpfte“. Wer den wie kontrollieren soll, weiß niemand.
Ein Schaustück geballter Hilflosigkeit, eine Bankrotterklärung. Österreich erhebt Anspruch auf Mitgliedschaft im Club der „Staaten, die in ihren Systemen kaputt sind“, wie Ex-Kanzler Kurz einst über südliche Nachbarländer ätzte. Für Schönwetterphasen mag die heimische Politik und Verwaltung geeignet sein, für Krisen nicht. Aus verflixt gutem Grund wetterte der ansonsten ruhig-analytische Komplexitätsforscher Peter Klimek angesichts der gesammelten Fehlleistungen, Österreich sei am Weg zur „Bananenrepublik“.
Es lohnt sich, die Anatomie dieses Scheiterns mit Anlauf zu sezieren. Bereits Anfang Juli prognostizierten die Experten vom Covid-Konsortium, assistiert von Wissenschaftern, die jetzige katastrophale Entwicklung, wenn die Impfrate auf niedrigem Niveau weiterdümpelt. Die Politik reagierte mit – dröhnendem Schweigen und Nichthandeln. Laut Eurobarometer-Studie ist hierzulande die Wissenschaftsfeindlichkeit besonders ausgeprägt. Kein Wunder, wenn Spitzenpolitiker mit grottenschlechtem Beispiel voranschreiten.
Zu wissenschaftlichem Denken gehört, eigene Annahmen stets auf den Prüfstand zu stellen und nur Evidenz gelten zu lassen. Österreichs Politik agiert bevorzugt nach dem gegenteiligen Prinzip: Fakten werden ignoriert und verdreht, um plumpe Propaganda zu betreiben. „Die Pandemie gemeistert, die Krise bekämpft“ wurde ab Juni mit einem Schönfoto von Sebastian Kurz plakatiert, diese Feel-Good-Kampagne wollte sich niemand durch lästige Wahrheiten stören lassen, den Wahlkampf in Impfschlusslicht-Land Oberösterreich sowieso nicht. Staaten wie Portugal oder Frankreich trieben im Sommer ihre Impfkampagnen beherzt voran, in Österreich übernahm niemand für die hochnotpeinlich niedrige Impfrate Verantwortung, nicht der Kanzler, nicht der Gesundheitsminister, nicht die Länder.
Wer es wagte, die Politik des Schönredens zu stören, wurde brüsk abgekanzelt: Als „absurd“ geißelte Tourismusministerin Köstinger Anfang Juli die Wiener Landesregierung, die sich für strengere Corona-Testregelungen entschied. Das wirkte schon damals lächerlich, passt aber zum Prinzip, mit Verve Showpolitik ohne Substanz zu betreiben: Mit großer Geste die Bestellung des Impfstoffs Sputnik oder die „Impfstoffproduktion mit Israel“ anzukündigen, ohne Ergebnis, versteht sich, mühselige Detailarbeit wie ernsthaftes Pandemiemanagement oder längst notwendige Reformen wie die der Alten- und Krankenpflege aber gar nicht erst anzupacken. Von so viel heißer Luft lassen sich vielleicht manche Wähler beeinflussen – Coronaviren aber nicht. Es ist etwas gar billig, wenn die Politik nun die Schuld ausschließlich den Impfverweigerern zuweist (wie Kollegin Rosemarie Schwaiger auf Seite 29 argumentiert) und sich damit selbst aus der Verantwortung stiehlt.
Denn das Prinzip Schönreden ist hochkant gescheitert, das Prinzip Propaganda auch. Österreich steht vor dem Scherbenhaufen dieser Politik. Applaus!