Meinung

Danke Demiral! Warum die Debatte über den Wolfsgruß ein Volltreffer ist

Zu lange war egal, was in migrantischen Communities abgeht. Jetzt müssen auch dort verstärkt die heiklen Debatten geführt werden.

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Zuerst Held, dann Paria. Der zweifache Torschützer gegen Österreich, Merih Demiral, feierte sein Schützenfest, wie er es gewohnt ist: Mit dem Wolfsgruß. In seiner Welt heißt das: Ich bin stolz, ein Türke zu sein. Außerhalb seiner Welt gilt der Gruß als rechtsextrem bis faschistisch.

Das erinnert an einen Helden des Wiener Terroranschlags 2020, Recep Tayyip Gültekin. Der nach dem türkischen Präsidenten Erdogan benannte MMA-Fighter war für seine Zivilcourage erst vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig geehrt worden. Dann tauchten ältere Fotos mit Wolfsgrüßen vor dem Rathaus auf, die ihm einen medialen Shitstorm einbrachten. Seine Rechtfertigung: "Der Wolfsgruß ist nicht schlimm."

Torjubel mit Nachspiel

Der zweifache Torschützer gegen Österreich, Merih Demiral, feierte sein Schützenfest, wie er es gewohnt ist: Mit dem Wolfsgruß. In seiner Welt heißt das: Ich bin stolz, ein Türke zu sein. Außerhalb seiner Welt gilt der Gruß als rechtsextrem bis faschistisch.

Stimmung machen, Stimmen machen

Nicht schlimm? In Österreich ist der Wolfsgruß - wie auch der Hitlergruß - verboten. So unterschiedlich kann die Wahrnehmung sein. Das hat auch damit zu tun, dass uns lange Zeit egal war, was innerhalb migrantischer Communities abgeht. Es regierte eine Haltung, in der die eigenen gesellschaftspolitischen Standards nicht auf die Welt der Zuwanderer umgelegt wurde. Linke nahmen Zuwanderer gegen Rechts in Schutz, freuten sich über ihre Stimmen und ließen sie sonst im Kraut. Rechte machten Stimmen durch Stimmungsmache und schauten ebenfalls nicht weiter hin. Was in den Wohnzimmern oder Social Media-Kanälen der Zuwanderer abging, war egal, weil es andere Welten sind, zu denen der Zugang fehlt. An denen man nicht weiter anstreift.

Toleranz aus der Distanz

Eigenbau-Extremismus der Identitären? Aufschrei. Mediales Dauerfeuer. Zu Recht. Türkischer Extremismus der Grauen Wölfe? Was ist das? Geht uns nichts an. Die sind halt so. Das ist eine Haltung von oben herab, die Zuwanderer nicht als gleichwertigen - gleich zu kritisierenden - Teil der Gesellschaft ansieht. Das ist: Toleranz aus der Distanz. Man kann es jungen Austro-Türken nicht übel nehmen, wenn sie auf Fotos lächelnd den Wolfsgruß in die Kameras halten (jüngst mit einem Schmunzeln vernommen in einem Bericht der "Kronen-Zeitung" über die Eröffnung eines Wiener Jugendzentrums). Sie haben es von ihren Vorbildern - den Demirals - so gelernt. Und vom Verbot wissen sie wohl noch gar nichts.

Im Spiegel der neuen Heimat

Es ist ein großer Gewinn für unsere Einwanderungsgesellschaft, dass die Debatte über den Wolfsgruß des türkischen Kickers nun auf allen Ebenen geführt wird. Weil sie in die türkische Community hineinträgt, was geht und was nicht geht in einer westlichen Gesellschaft. Weil sie in Bezug auf Extremismus dieselben Standards an den zugewanderten Teil der Gesellschaft anlegt wie auf den angestammten. Weil sie Debatten innerhalb der Community provoziert, denen sie sich selbst kaum stellt.

Die Debatte weist den türkischen Hardcore-Nationalismus, der weder den Genozid an den Armeniern, noch die terroristische Vergangenheit der Grauen Wölfe, noch die palästinensische Hamas als Terrororganisation anerkennt, in die Schranken (die Hamas ist laut Erdogan eine "Befreiungsorganisation"). Die Wolfsgruß-Debatte zwingt türkische Nationalisten, die gewohnt waren, sich intern im Wohnzimmer oder Café politisch alles erlauben zu können, das eigene Verhalten durch die Brille der neuen Heimat zu betrachten. Und dieser Blick tut weh - auch wenn man ihn ignorieren will.

Danke, Demiral.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.