Leitartikel

Das Fußi-Gate der SPÖ

Die Operation Schönreden ist gescheitert. Die SPÖ wird um die Aufarbeitung ihrer Wahlniederlage nicht herumkommen.

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Österreich macht seinem zweifelhaften Ruf als Land der politischen Sesselkleber alle Ehre. Zwei Wochen nach dem blauen Beben sieht keiner der schwer abgestraften Parteichefs einen Grund, Konsequenzen aus der herben Wahlniederlage zu ziehen. Nicht ÖVP-Obmann Karl Nehammer, dessen angebliche Wirtschaftspartei ein Milliarden-Budgetloch negierte und zweistellige Verluste einfuhr. Nicht Grünen-Chef Werner Kogler, dessen Partei sich auf das Thema Klima verengte und ein Drittel ihrer Wählerschaft verspielte. Nicht SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler, der Platz 1 und Kanzleramt anpeilte, aber von der Schwäche der Regierungsparteien nicht profitierte und unsanft auf Platz 3 landete.

Sieger sehen anders aus, Rücktrittskultur auch. Nicht einmal zu selbstkritischer Aufarbeitung der Flops konnten sich die Parteien aufraffen, im Gegenteil: Noch am Wahlabend begann die Operation Schönreden. Die ÖVP tröstet sich mit „Wahl verloren, Macht behalten“: Sie hat aufrechte Chancen, ihren Europarekord von 38 durchgehenden Regierungsjahren auszubauen. Die Grünen trompeten, dass es alle Regierungen schwerhaben. Und die SPÖ jazzte ihre Nullnummer hoch, frei nach dem Motto: Eh nur am drittschlechtesten abgeschnitten! Die anderen haben viel mehr verloren! Hauptsache, wir retten uns wieder in eine Regierung!

Dieser Versuch, das Wahldebakel einfach zu ignorieren, ist hochkant gescheitert, zumindest in der SPÖ. Ihr droht nun ein Fußi-Gate. Ausgerechnet die Social-Media-Rampensau Rudi Fußi, eine Ein-Mann-Aufregungsmaschine mit Hang zu derben Wuchteln, fordert seinen „Parteifreund“ Andreas Babler heraus. Das könnte man getrost als jüngste bizarre Volte einer völlig außer Tritt geratenen Ex-Großpartei ignorieren, bei der man aus dem Wundern, was alles möglich ist, gar nicht mehr herauskommt. Wenn nicht Fußis Antritt das mühsam unterdrückte rote Brodeln bis zum unkontrollierbaren Donnerwetter verstärken könnte.

In den Jahren des stetigen Niedergangs hat die SPÖ ziemlich alle Parteichef-Typen durchprobiert – und abmontiert.

Totschweigen wird nichts ändern: Die SPÖ laboriert an massiven Problemen, die Methode Aussitzen hilft gar nichts. In Städten retten ihr nur grüne Leihstimmen das Ergebnis, in manchen Landregionen ist sie schnurstracks am Weg in die Bedeutungslosigkeit. Mehr noch: Alle strategischen Ziele wurden verfehlt, der konturiertere Links-Kurs zog weder bei Nichtwählern noch bei FPÖ-Abwanderern oder traditionellen Kerngruppen wie der Arbeiterschaft. Der SPÖ gelang das Kunststück, als einzige Oppositionspartei nicht zuzulegen – trotz dominanter Themen wie Teuerung, die eigentlich rote Homebase sein sollten.

Der Misserfolg wurzelt tief. Beim Bejubeln von Siegen bei Nationalratswahlen ist die SPÖ außer Übung, der letzte eindeutige Zugewinn (die marginalen plus 0,04 Prozent 2017 zählen nicht) ist über zwei Jahrzehnte her und gelang 2002, als sich die FPÖ in Knittelfeld in die Luft gesprengt hatte. In den Jahren des stetigen Niedergangs hat die SPÖ ziemlich alle Parteichef-Typen durchprobiert – und abmontiert: den weltgewandten Besserwisser Alfred Gusenbauer. Den freundlichen Pragmatiker Werner Faymann. Den smarten Manager Christian Kern. Die moderne Quereinsteigerin Pamela Rendi-Wagner. Den leidenschaftlichen Basis-Kumpel Andreas Babler.

Sie alle lösten kurz Aufbruchsstimmung und Euphorie aus, die rasch verebbte und ins übliche rote Gesudere überging, gefolgt von quälender Demontage und Selbstzerstörungstrip auf offener Polit-Bühne. Denn wenig überraschend erwies sich keiner der unterschiedlichen Parteichef-Typen als Wunderwuzzi, der SPÖ-Baustellen im Alleingang übertünchen und über Jahrzehnte angehäufte inhaltliche Schwammigkeit vergessen machen kann. Natürlich ist der unstete Berserker Fußi meilenweit davon entfernt, dieser Wunderwuzzi zu sein. Aber er stellt einige richtige Fragen. Etwa: Für wen will die SPÖ 2024 Politik machen? Und vor allem: wie? Wie Wohlstand und Sozialstaat absichern und modernisieren?

Die SPÖ wäre gut beraten, sich nach der Wahlmisere nicht vor Antworten und Aufarbeitung zu drücken. Dass es die anderen Abgestraften aus den anderen Parteien auch nicht tun: Das taugt dabei nicht als Ausrede.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin