Leitartikel

Das Jahr der Bauchschmerzen

Fünf Irrtümer, an denen die Gegner der Rechtspopulisten festhalten.

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Bei allem Respekt vor der Stadt Salzburg: Die Stichwahl zwischen zwei Links-der-Mitte-Kandidaten um den Bürgermeistersessel wird in diesem globalen Superwahljahr ungefähr so schnell in Vergessenheit geraten wie der Gewinner des zweiten Platzes bei den Vorwahlen der US-Demokraten. Denn: Alle Augen bleiben nach rechts gerichtet. In den USA, in der EU, in Österreich. Langsam wird es zur Gewohnheit, auf die Rechtspopulisten zu starren. Zwar sollte man meinen, wir kennen sie mittlerweile zur Genüge und wissen alles über sie, doch leider stimmt das nicht. Die anhaltenden Erfolge von Trump, Kickl und ihresgleichen werden begleitet von den immer gleichen Irrtümern ihrer Gegner. Das soll nicht besserwisserisch klingen, denn ich bekenne, nicht wenigen dieser Irrtümer selbst aufgesessen zu sein. Wenn aber Fehleinschätzungen trotz mehrfacher Widerlegung als lieb gewonnene Erklärungsmuster weiter gepflegt werden, offenbaren sich Ratlosigkeit und Realitätsverlust.

Irrtum Nummer eins: Die Wählerinnen und Wähler der Rechtspopulisten verstehen nicht, was sie da wählen. Doch, tun sie. Donald Trump hat bereits eine Amtszeit als US-Präsident hinter sich, die Öffentlichkeit weiß besser über ihn, über seine Politik, über sein Privatleben und über seine mutmaßlichen Gesetzesbrüche Bescheid als über jeden anderen Politiker inklusive des amtierenden Präsidenten Joe Biden. Dennoch ist Trump nicht bloß der unangefochtene Kandidat der Republikanischen Partei, sondern der äußerst chancenreiche Herausforderer von Biden – laut Umfragen sogar leicht zu favorisieren. Die Leute wissen, wen sie kriegen, wenn sie sich für Trump entscheiden.

Irrtum Nummer zwei: Die Wähler werden manipuliert. Es wäre naiv, die Existenz von industriell gestreuten Fake News und anderen sinistren Methoden zu leugnen, aber ebenso naiv, zu glauben, man könne in einer durch und durch mediatisierten, hochtransparenten Gesellschaft Wahlverhalten so einfach steuern.

Irrtum Nummer drei: Die Ausgangslage ist nicht fair. Doch, ist sie. Trump hatte, als er 2016 die Präsidentschaftswahl gegen Hillary Clinton gewann, im Wahlkampf weniger Geld ausgegeben als seine Konkurrentin. Auch diesmal verfügt Biden bislang über mehr Spendeneinnahmen als er.

Alle Augen bleiben nach rechts gerichtet. In den USA, in der EU, in Österreich.

Irrtum Nummer vier: Die Medien machen die Rechtspopulisten groß. Dieser Verdacht hatte anfangs seine Berechtigung, als in Österreich mit Jörg Haider ein charismatischer Politiker eines neuen Typus auftauchte oder 30 Jahre später in den USA mit Donald Trump ein greller, bulldozernder Antipolitiker. So etwas lieben Medien, aber dieser Mechanismus funktioniert jedenfalls nicht auf Dauer, und schon gar nicht angesichts deutlich weniger glamouröser Individuen wie Herbert Kickl, Jimmie Åkesson (Schwedendemokraten) oder Tino Chrupalla (AfD). Allein die Tatsache, dass mittlerweile in so gut wie jedem Land eine rechtspopulistische Partei im Spitzenfeld der Wählergunst liegt, zeigt, dass diese politische Bewegung einem allgemeinen Bedürfnis entspringt und keinem kurzlebigen Medien-Hype.

Irrtum Nummer fünf: Die Rechtspopulisten haben keine Konzepte. Für dieses Urteil gibt es leider keinen objektiveren Maßstab als demokratische Wahlen. Aber wenigstens erreicht die Debatte damit die Ebene der inhaltlichen Auseinandersetzung. Die Rechtspopulisten versprechen ihrer wachsenden Anhängerschaft einen Kulturwechsel: Ein national-ethnisch begründeter, traditioneller Lebensstil werde wieder stolz Einzug halten, abgeschottet hinter ideologisch und real befestigten Grenzen, verfochten mit einem trotzigen „Das lassen wir uns nicht verbieten“, und provokant gespickt mit der Ablehnung allzu globalistischer Einwände wie „Menschenrechte“ und dergleichen.

Doch, ja, das ist ein Konzept. Es zielt auf die Identität der Nation und des Einzelnen ab und erst in zweiter Linie auf materielle Veränderungen. Und wie Umfragen und Wahlergebnisse zeigen, kommt es gut an. (Disclaimer: Mir persönlich ist es gänzlich unsympathisch, aber das bestärkt Rechtspopulisten bestimmt umso mehr.) Haben die Vertreter der Gegenseite Konzepte, die für die verloren gegangenen Wählerschichten attraktiv sind und die etwas anderes beinhalten als „mehr vom Altbekannten“? Eine Kostprobe von Joe Biden: „Let’s finish the job“ (Lasst uns den Job zu Ende bringen). Hm.

Fortgesetzter Selbstbetrug wird den Mangel nicht beheben: Wir leben in einer Ära der identitätsbestimmten Politik. Wer es nicht schafft, ein Zukunftsbild der Nation und ihrer Bürgerinnen und Bürger zu entwerfen, das diese emotional bewegt oder besser mitreißt, ist dazu verdammt, nach rechts zu schielen. Und zwar wahlweise neidisch oder aber besorgt. Ich höre die Entgegnungen: Das Jahr ist noch jung, wir haben gute Ideen, die Wahlkämpfe müssen erst geschlagen werden, und Umfragen sind Umfragen.

Meine präventiven Bauchschmerzen lindert das nicht.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur