Rainer Nikowitz
Satire

Das Ungeheuer von Woke Ness

Vorsicht! Dieser Text kann Witze enthalten, die unserem Diversity-Lektorat irgendwie durchgerutscht sind.

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Wenn Sie Dave Chappelle nicht kennen sollten, dann muss ich Sie im Lichte der  weltbewegendsten Ereignisse der vergangenen Woche ganz dringend ersuchen, es dabei zu belassen. Und wenn Sie schon wissen sollten, dass Chappelle einer der bekanntesten Comedians der USA ist, mit Preisen aller Art überhäuft, dann sollten Sie sich wenigstens sein jüngstes Special „The Closer“ auf Netflix unbedingt NICHT anschauen.

Denn nicht nur, dass dieser abgrundtief böse Mann ein ausgewachsener Rassist ist, der sich ständig über „Nigger“ lustig macht – okay, er mag auf den ersten Blick selber ziemlich afroamerikanisch wirken; aber was ein richtiger Schwarzer ist, bestimmen schließlich immer noch wir, also die linke, woke Avantgarde –, ist er jetzt auch noch transphob! Ist es zu fassen? Dem Kerl ist einfach nichts heilig, er macht Witze über alles und jeden – und das, ohne uns vorher um Erlaubnis gefragt zu haben! Das kann es ja wohl nicht sein. Also ist klar, was zu passieren hat: Standgericht! Shitstorm! Hängt ihn höher!

Der „Standard“, unser heimisches Zentralorgan, war auch angemessen erregt und brachte im Lauf der Woche gleich drei Artikel zu diesem Skandal. Zwei davon erschienen online sogar gleichzeitig, an verschiedenen Stellen. Das fiel dann auch unserem strategisch klug positionierten Diversity-Wachpersonal auf ORF online auf, und auch dort konnte man dann quasi wortgleich dasselbe lesen, mit denselben gleich drei Zeuginnen der Anklage, die gerade verdiente Weltkarriere dadurch machen, dass sie schon vorher im „Guardian“, im „Hollywood Reporter“ und wahrscheinlich Hunderten anderen Medien weltweit vorkamen. Die woke Internationale arbeitet da ja zum Glück sehr gut zusammen, trotz unserer himmelschreienden Unterrepräsentierung auch und gerade in Qualitätsmedien.

Jedenfalls wurde eigentlich weder im „Standard“ noch im ORF darüber berichtet, was denn nun Chappelle eigentlich genau gesagt hat, sondern nur, dass es Menschen gibt, die sich – natürlich zu Recht! – furchtbar darüber aufregen. Gleich „Dutzende“ hätten sich zu einer Demonstration vor der Netflix-Zentrale eingefunden. Der Streaming-Riese sei also ordentlich „in Bedrängnis“. Hui!

Ich werde Ihnen hier natürlich ebenso wenig wie die Kollegenschaft Genaueres über Chappelles Programm sagen – und zwar aus zwei Gründen nicht. Zum Ersten würde Sie diese Information sicherlich ungeheuer verletzen, da muss man Sie schon vor sich selbst und Ihrer geradezu kindlichen Neugier schützen.

Deshalb fordern ja jetzt auch unsere Aktivist:innen, dass Netflix seiner Show – wenn man sie schon nicht öffentlich verbrennen kann, was natürlich die beste Lösung wäre – zumindest einen Warnhinweis voranstellt, etwa in der Form: „Vorsicht! Dieses Programm kann Witze enthalten, in denen KEINE alten weißen Männer vorkommen!“  Das wäre ja endlich einmal ein Fortschritt!

Und der zweite Grund, aus dem ich mich gezwungen sehe, Ihnen die ganze Ungeheuerlichkeit von Chappelles Transphobie vorzuenthalten, ist folgender: Ich habe seine Show selbstverständlich gar nicht gesehen. So einen Dreck schaue ich mir doch bitte sicher nicht an! Diese Eigenschaft teile ich mit grob geschätzt 99 Prozent meiner tapferen Wokeness-Mitstreiter:innen und 100 Prozent unserer embedded Redakteur:innen.

Hörensagen muss für einen Shitstorm von uns Gerechten ja allemal als Beweis reichen. Und für mehr fehlt uns schließlich, um ehrlich zu sein, auch die Zeit. Die brauchen wir ja dazu, unsere Gedanken in immer enger werdenden, konzentrischen Kreisen um unseren eigenen Bauchnabel zu bewegen – uns also mit der ja wohl hoffentlich unbestritten wichtigsten Sache der Welt zu befassen. Und gleichzeitig zu überlegen, worüber wir heute beleidigt sein könnten. Just another day at the office halt.

Es gibt auch ein absolut sehenswertes Video von der Demo der Gerechten. Man sieht zuerst die Dutzenden, auf jede und jeden von ihnen kommt in etwa eine Fernsehkamera. Dann nähert sich ein sich als rundlich und irgendwie gemütlich tarnender junger Mann, nennen wir ihn den Aggressor. Er trägt ein selbst gebasteltes Schild, auf dem steht: „We like Dave!“ Auf diese ungeheure Provokation müssen die Toleranzbewegten natürlich reagieren, einer von ihnen entwindet ihm das Schild und trampelt darauf herum, bis es kaputt ist.

Aber der Holzstock, auf dem es montiert war, bleibt dabei leider in den Händen des leicht betropezten Aggressors – eine brandgefährliche Situation, deren Brisanz der Toleranzbewegte aber zum Glück sofort antizipiert und zu schreien beginnt: „He’s got a weapon!“ Er hat eine Waffe!

Daraufhin stellt sich eine mutige Person, die ich als weiblich lesen würde – ich hoffe inbrünstig, ich verlese mich da nicht; sonst werde ich am Ende noch gecancelt – mit ausgebreiteten Armen schützend vor die Dutzenden und beginnt den Aggressor wegzuschubsen. Unterstützt wird sie dabei von einer anderen Frau, die ihm mit einem Tamburin im Gesicht herumfuchtelt und dabei unablässig kreischt: „Repent, Motherfucker!“ Bereue! Motherfucker übersetze ich jetzt nicht, da bin ich irgendwie mutterphob.

Früher einmal, also in der schlechten alten Zeit, hätte diese Szene exakt so in einem Monty-Python-Sketch vorkommen können. Analog zu: „Er hat Jehova gesagt!“ Und dann wäre eine Steinigung gefolgt. Aber die gehören ja auch weg, die waren ja nun wirklich allesmöglichephob.
Wobei: das mit der Steinigung …

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz