David Staretz: Kathedralen bitte!

Es scheint, dass das herkömmliche Auto zu Tode stagniert, weil den Herstellern einfach nichts mehr einfällt.

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Indizien dafür sind vorhanden. Man darf nicht den Autodesignern die Schuld geben. Die schwärmen meist vom Jaguar E. Ja warum entwerfen sie dann nicht auch so was Grandioses? Ähnlich könnte man auch bei der modernen Musik, der Fotografie, der Architektur fragen. Antwort: Weil alles wirklich Aufregende bereits geschaffen wurde. Es gibt halt nur eine begrenzte Zahl von tollen Akkorden, und "Smoke on The Water" ist leider schon geschrieben. Auch das Auto als Körperform kann nur auf ein beschränktes Vokabular der Radien und Proportionen zurückgreifen, seit wir uns auf vier Räder und zwei Scheinwerfer geeinigt haben.

Fahrzeugdesigner tun gerne so, als geböten sie über alle Schönheit der Welt, wenn man sie nur ließe. Doch leider sind sie auf völlige Pragmatik reduzierte Design-Auguste. Großzügig können sie, wie Architekten oder Bildschaffende, allerdings neue Technologien anwenden, die eine im Detail verfeinerte Formensprache erlauben. Aber alles Grundlegende haben wir bereits abgehakt. Und wie vorherrschende Projekte der Massenindividualisierung, zum Beispiel der neue Volkswagen ID.3, aussehen, ist einfach nur deprimierend. Das steht jetzt 30 Jahre auf unseren Straßen. Da möchte man doch die Zukunft stornieren.
 

Haben wir das wirklich verdient? Ich fürchte, ja. Man gibt sich mit so wenig zufrieden. Niemand traut sich mehr was ausprobieren. Weil: Die Digitalisierung hat uns für jede Situation das Optimum errechnet, auf Millionen Kommastellen genau. Es gibt keine Fehler mehr, außer kapitale. Fehler im menschlichen Maße sind nicht mehr zu verantworten. Wir können bei der Marketingsitzung nicht zum Clipboard gehen und mit dem Laserpointer zeigen: "Hier an dieser Stelle machen wir bitte einen grandiosen Fehler. Sonst sind wir geliefert."

Gerne aber bedienen wir uns Fehlern der Vergangenheit. Ein Lamborghini Miura oder ein BMW Isetta sind aus heutiger Sicht völlig verfehlt. Aber wir delektieren uns daran: Waren das wilde Zeiten!

Und das Schlimmste ist heute: Man kann sich nicht beschweren. Unsere slicken Autos bewegen sich im Kontext dessen, was guter Geschmack, gekonnte und ausgewogene Formensprache bedeuten. Das trifft sogar auf SUVs zu!

Vor allem sind sie sehr sicher geworden, optimiert für Unfälle aller Art. Rütteln sogar am Lenkrad, während wir ins Smartphone tippen. Damit kommt jede Diskussion zum Ende. Fünf NCAP-Punkte, darüber ist nichts mehr zu wollen. Oder wollt ihr nur vier?

Der Anstoß zu diesen Überlegungen gab tatsächlich der Jaguar E. Ein Foto von schräg hinten, mit Steve McQueen am Steuer. Also ikonisch, eh klar. Aber am meisten hat mich fasziniert, wie sich die Karosserie über den Rädern öffnet. Wie mit dem Dosenöffner ausgeweitet. Überschmolzen, könnte man auch sagen.


Heute gibt es nur mehr eine Form des Radausschnittes. Sie ist redlich. Der Radkastenausschnitt folgt exakt der Form des Rades. Das ist nach allen Gesetzmäßigkeiten der Formensprache die schlüssigste Bauweise. Aber es sieht aus wie Tupperware. Die drei bis vier Zentimeter breite Fase soll eine große Metallstärke simulieren, obwohl Autoblech deutlich unter einen Millimeter dick ist. Der Kotflügel wird etwas ausgestellt, um Muskularität und Sportlichkeit (breite Reifen!) darzustellen. Diese nicht hinterfragte Sportlichkeit bei praktisch allen Zivilfahrzeugen ist auch etwas, was zur Stagnation beiträgt. Selbst der Bentley Bentayga trägt Sportzitate, obwohl er doch wie eine Kathedrale aussehen müsste. Wir brauchen mehr Kathedralen auf der Straße, so etwas wie den Citroën DS, über den der Medienphilosoph Roland Barthes 1957 geschrieben hat: "Ich glaube, dass das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gothischen Kathedralen ist. Ich meine damit: Eine große Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde( ).Der neue Citroën fällt ganz offenkundig insofern vom Himmel, als er sich zunächst als ein superlativisches Objekt darbietet." Worüber wäre so ein Satz heute zu sagen? Möglicherweise über den Tesla "Geodreieck" Cybertruck, der wirklich unerhört und ungehörig ist in seiner architektonischen Brutalität. Selbst die Radausschnitte sind aus drei geraden Leisten geformt.

Doch bleiben wir noch kurz bei Flaminio Bertoni, d em Genie. Ihm gelangen Citroën 2CV (gewählt zum Auto des vorigen Jahrhunderts),genannter Citroën DS sowie der Citroën Ami6 von 1961, ein auch von mir lange Jahre verachtetes Cremeschnittchen mit eingeschrägter Heckscheibe. Bertoni selbst bezeichnete den Ami6 als sein Meisterstück, und erst heute wird auch mir langsam klar, wohin dieses Auto zeigte und wo völlig anders wir uns jetzt befinden. Der Ami6 war zu seiner Zeit das meistverkaufte Automobil in Frankreich. Bemerkenswert war übrigens, dass das Auto nur wenig über 600 kg wog und mit einer Motorleistung von 20 PS, später erhöht auf 32, auskam. Kleine Kathedralen täten's demnach auch.