Kommentar

Der Krieg schützt Netanjahu vor dem Machtverlust

In den USA verteidigt Benjamin Netanjahu seinen Krieg mit aller Kraft. Denn er braucht ihn, um an der Macht zu bleiben.

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Sie klatschen und pfeifen so laut, dass Netanjahu seine Rede nicht beginnen kann. Der Applaus kommt vor allem von den Republikanern. Immer wieder faltet Israels Premier die Hände zum Dankesgruß. Dann beginnt er zu sprechen, 45 Minuten lang.

Der rote Faden seiner Rede: wir und die anderen. Israel stehe an der Front eines Konflikts „zwischen Barbarei und Zivilisation“. Es könne nur einen Ausgang geben: „Wir gewinnen, sie verlieren.“

Es ist Netanjahus erste Auslandsreise seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober, der zum Krieg in Gaza führte.

Es ist legitim und richtig, dass Netanjahu diesen schwarzen Tag in Erinnerung ruft, dass er wieder und wieder darüber spricht, wie Hamas-Kämpfer in Kibbuzim einfielen, Frauen vergewaltigten und Kinder vor den Augen ihrer Eltern töteten. Aber vieles an seiner Rede war enttäuschend, wenn auch erwartbar. Erstens: Netanjahu ist nicht nach Washington gereist, um einen Plan vorzulegen, der den Krieg beendet. Zweitens: Anstatt Brücken zu bauen, treibt er einen weiteren Keil in die ohnehin schon tief gespaltene Gesellschaft der USA. Ganz nach dem Motto: Entweder ihr seid mit oder gegen uns. Aber der Krieg im Nahen Osten ist viel zu kompliziert, um eine populistische Formel darüberzustülpen.

Anstatt Brücken zu bauen, treibt er einen weiteren Keil in die ohnehin schon tief gespaltene Gesellschaft der USA

 

Genau das aber tut Netanjahu. Er äußerte sich verächtlich über die Demonstranten, die sich vor dem Kapitol versammelt hatten, unterstellte ihnen, „auf der Seite des Bösen“ zu stehen. Das ist insofern zynisch, als am Mittwoch auch Angehörige und Familien von nach Gaza verschleppten Geiseln gegen ihn protestierten. Sie reden weder die Hamas noch den Iran schön. Sie sind auf unbeschreiblich brutale Weise Opfer islamistischen Terrors geworden.

Netanjahu steht seit Monaten in der Kritik, zu wenig für die Freilassung der Geiseln zu unternehmen. Angehörige werfen ihm vor, den Krieg zu verlängern, anstatt ihn mit einer Waffenruhe zu beenden. Hinter Netanjahus Strategie könnte auch Eigennutz stehen. Denn der Internationale Strafgerichtshof hat gegen Netanjahu und Anführer der Hamas Haftbefehle wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt.

Der israelische Diplomat Avi Primor, der unter anderem Botschafter in Deutschland war, schreibt in seinem Buch „Bedrohtes Israel“: „Der Tag, an dem der Krieg endet, markiert den Anfang von Netanjahus Ende.“ Der Kriegszustand schützt Netanjahu vor Machtverlust.

Er braucht also die USA und will deswegen Einigkeit mit seinem wichtigsten Partner inszenieren. In einigen Punkten gilt das auch weiterhin.

Die Hamas ist keine Befreiungsarmee, wie das radikale Linke in Protestcamps und Hörsälen auf der ganzen Welt behaupten, sondern eine antisemitische und islamistische Terrororganisation.

Israels Existenzrecht ist unantastbar. Die Hamas ist keine Befreiungsarmee, wie das radikale Linke in Protestcamps und Hörsälen auf der ganzen Welt behaupten, sondern eine antisemitische und islamistische Terrororganisation. Die Hamas kann und darf niemals Teil einer Übergangsregierung in Gaza sein, wie China unlängst in Vermittlungen vorgeschlagen hatte. Und: Israel hat nach dem 7. Oktober ein Recht auf Selbstverteidigung.

Aber nicht um jeden Preis.

Ein Krieg ist kein rechtsfreier Raum. Es gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, und genau das ist in Gaza, wo Zehntausende Zivilisten ums Leben gekommen sind, aus dem Lot geraten. Netanjahu liegt falsch, wenn er die Verantwortung für die humanitäre Not in Gaza kategorisch von sich weist, als hätte sie nichts mit ihm zu tun.

Der Druck aus Washington, den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung zu verbessern, muss sich erhöhen. Das ist auch eine Chance für die (wahrscheinlich) neue Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris.

Viel ist darüber spekuliert worden, warum sie der Rede Netanjahus ferngeblieben ist. Ihr leerer Stuhl wird wohl auch überbewertet, da sie schlichtweg einen anderen Termin hatte. Viel wichtiger ist die Frage: Was hat Harris Netanjahu unter vier Augen gesagt? Sie habe ihr unerschütterliches Bekenntnis für das Existenzrecht Israels betont. Zugleich schlägt sie härtere Töne gegenüber Israels Premier an, in dem sie klarstellte, nicht schweigen zu wollen. 

Klar ist: Harris pocht auf einen Waffenstillstand und eine schnelle Beendigung des Krieges. Nur: Das tut auch Joe Biden und neuerdings auch Donald Trump. 

Trump trifft Netanjahu am Freitag (26. Juli) in Florida. Einen Tag vorher verkündete Trump, Israel müsse den Krieg rasch beenden, weil er dem Image des Landes schade. Gleichzeitig empfiehlt er jüdischen Amerikanern: Wählt auf keinen Fall die Demokraten! Damit schürt er dieselbe populistische Denkweise, wie schon Netanjahu in seiner Rede. Aber so einfach ist es nicht. Vor dem Kapitol protestierten am Mittwoch auch jüdische Demonstranten.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.