Die Ausweichmanöver der jungen weißen Männer
Manchmal werde ich im Rahmen von Debatten, an denen ich nur peripher oder gar nicht beteiligt bin, dazu aufgefordert, als „junge Frau“ doch auch etwas zu „diesem Thema“ zu sagen. „Dieses Thema,“ damit meint man meist überschlagend den Komplex der vermeintlich bedrohlichen Anglizismen, also: Wokeness, Political Correctness, Cancel Culture, Triggerwarnungen, Queerness, et cetera. Kurzum: Die Themen, die mir mitunter die meisten Leser:innenbriefe von Menschen einbringen, die ein Vielfaches meines Alters haben, in denen sie mir erklären, wie falsch ich denn liege. Missverstehen Sie mich bitte nicht: Ich finde es auch gut, wenn eine junge Frau, in diesem Fall ich, etwas dazu sagt. Aber ich bin es leid.
Zweifellos sind diese Debatten wichtige Fragen, die es zu verhandeln und auszuloten gilt, schließlich machen wir uns als Gesellschaft so aus, was für uns okay ist – und was nicht. Ich scheue diese Verhandlungen keineswegs, aber: Es dreht sich im Kreis. Ich wette mit Ihnen: Wenn im Sommer wieder jemandem ein Auftritt verwehrt wird, werden wir die gleichen die Kunstfreiheit verteidigenden Kommentare lesen wie damals, als in Hamburg eine Lesung der österreichischen Kabarettistin und Autorin Lisa Eckhart infolge von Antisemitismus-Vorwürfen abgesagt wurde. Und ich wette auch, dass mir dann wieder folgende Frage gestellt wird: „Was meinst du als junge Frau dazu? Möchtest du vielleicht noch hier etwas sagen oder dort einen Text schreiben?“
Das ist grundsätzlich lobenswert – die Bühne soll schließlich nicht nur etablierten Meinungen gehören, und ich freue mich auch, Stellung beziehen zu dürfen, aber der Zusatz „weil du eine junge Frau bist“ schmeckt bisweilen etwas schal. Wahrscheinlich finden Sie mich jetzt schrecklich wehleidig, aber vielleicht wird es anhand eines Beispiels greifbarer. Eine Absage des Auftritts des Rappers Yung Hurn bei den Wiener Festwochen wurde diskutiert, ich wurde natürlich wieder gefragt, was ich als „junge Frau“ darüber denke. Ich dachte damals Folgendes: Warum muss ich jetzt schon wieder erklären, dass es nicht in Ordnung ist, frauenfeindliche Lyrics zu verbreiten? Was prädestiniert mich in meiner Rolle als „junge Frau“ dazu, etwas aufzudröseln, was doch eigentlich generationen- und geschlechterübergreifender Konsens ist?
Ich bewundere Elfriede Hammerl dafür, dass sie die Ausdauer hat, im profil seit Jahrzehnten gegen das Patriarchat anzuschreiben, ohne dass sie die zermürbende Kontinuität der Debatte zu ermüden scheint. Und ich finde mich selbst ein wenig lachhaft, wenn ich jugendlich-selbstgerecht lamentiere, dass ich es leid sei, immer dasselbe sagen zu müssen. Kann mir denn wirklich jetzt schon, mit Anfang 20, die Puste ausgehen?
Eine Entwarnung an dieser Stelle: Sie wird mir so schnell nicht ausgehen, ich kann noch viele weitere Texte als „junge Frau“ schreiben; wenngleich ich sie viel lieber als „Journalistin“ oder „profil-Redakteurin“ schreibe. Zum Beispiel jetzt, zu Simon Stone, unserem dieswöchigen Cover-Autoren, denn: Dieser Kommentar steht genau hier, weil ich als „junge Frau“ Bezug nehmen soll auf dessen Essay, den Sie vielleicht schon gelesen haben. Es geht darin um ein Tischgespräch lauter weißer, privilegierter Leute, in dem das N-Wort fällt; und vor allem um die Reaktion darauf. Ich fand den Text interessant, und er ist natürlich auch streitbar: Zum Beispiel betrachte ich es als Fehler, diese Frage als reines Generationenproblem zu skizzieren, weil man sich damit ein Stück weit aus der Verantwortung zieht. Auch in meinem Umfeld haben schon gleichaltrige weiße Personen das N-Wort benutzt; ich habe Freund:innen erlebt, die brennend dafür eingestanden sind, dass sich der Caspar beim Sternsingen doch das Gesicht schwarz anmalen dürfe. Manchmal ist es ein Leichtes, sich auf den alten weißen Mann als Archetypen auszureden; wo doch auch eine junge weiße Frau wie ich – oder ein einigermaßen junger Mann wie Simon Stone – nicht automatisch qua Identität „woke“ ist.
Denn ich fand Stones erste schweigende Reaktion auf das gefallene Wort feig – und er selbst ja auch. Tupoka Ogette, eine bekannte afrodeutsche Autorin und Expertin für Rassismus-Kritik, sagt: „Schweigen bei rassistischen Bemerkungen heißt immer Zustimmung.“ Es ist Stone anzurechnen, dass er sich in seiner Rolle am Tisch in der Finca auf Ibiza reflektiert, dass er seine eigenen Unzulänglichkeiten ins Protokoll mit aufnimmt. Damit wirft er nämlich ein wichtiges Schlaglicht: Der junge weiße Mann wähnt sich viel zu oft in einer privilegierten Entspannungshaltung, die er mit einer bedingungslosen Empfängnisbereitschaft gegenüber Diversität kaschiert. Aber bloß zu sagen, man sei ohnehin antirassistisch, reicht eben nicht; man müsste es dann doch tatsächlich sein.
Mit dem Aussterben des alten weißen Mannes werde ich vielleicht weniger belehrende Zuschriften bekommen – aber dann ist noch lange nicht alles gut. Denn die nachkommende Generation ist nicht ausnahmslos woke, nur weil sie keine Leser:innenbriefe mehr schreibt, sondern lieber auf Instagram kommentiert oder mir Direktnachrichten auf Facebook schickt. Der Topos des alten weißen Mannes emotionalisiert und verbildlicht eine wichtige Debatte. Nur: Simon Stone und ich dürfen uns von einem Idiom, das von der Verantwortung ablenkt, die wir als „junger Mann“ und „junge Frau“ haben, nicht täuschen lassen. Denn es gibt rechte wie linke, rassistische wie antirassistische, woke wie nicht-woke „junge Leute“.
Der alte weiße Mann mag bald Geschichte sein, aber solange etwa die antirassistischen Grundsätze und Forderungen Schwarzer Menschen oder meine antisexistische Haltung als „junge Frau“ nicht allgemeiner und vor allem generationenübergreifender Konsens sind, lebt das Patriarchat auch ohne ihn weiter.