Karenzvertretung

Die Freiheit, die wir bla bla bla

Apropos Bundestrojaner: Eine kleine Auseinandersetzung mit Staat, Macht, Überwachung und einem ziemlich abgenudelten F-Wort.

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Es ist nun schon einige Medienzyklen her, dass Edward Snowden die Praktiken der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) und deren Überwachungsprogramm enthüllte. Snowden war (und ist) der Meinung, dass diese Aktivitäten die Privatsphäre und die individuelle Freiheit verletzen, deswegen griff er zu drastischen Maßnahmen. Das brachte ihm Exil in Russland und einen Hollywoodfilm mit Joseph Gordon-Levitt ein. Und der damalige US-Präsident Obama betonte öffentlich, dass die Regierung die Verantwortung habe, ihre Bürger:innen zu schützen, zum Beispiel vor Terror, was unweigerlich bestimmte Eingriffe, einschließlich Überwachung, erfordere.

Mit dem Schutz der Subjekte ist das aber so eine Sache. Prinzipiell ist der Staat in der Verteidigung der Bürger:innen gegen viele Formen des Schadens (wie Diebstahl, finanzielle Notlagen aufgrund zweifelhafter Bankpraktiken und Umweltzerstörung) mit maximaler Laschheit unterwegs. Das ist ursächlich damit verbunden, dass er sich immer nur um die Durchsetzung von Gesetzen und Vorschriften kümmert und nicht um die reale Beseitigung von Schäden, die den Opfern zugefügt wurden. Die Maschinerie „USA“ (wie jeder andere Staat auch; siehe Österreich und sein gerade heiß diskutierter „Bundestrojaner“) schützt nicht primär Bürger:innen, sondern vielmehr den eigenen Status, also: sich selbst. Und dieser Selbstschutz und die dafür eingesetzten Apparate sind proaktiv und integraler Teil von Herrschaft. Die eigentlichen Schutzobjekte des Staates sind also sein Gewaltmonopol, seine Souveränität und seine Gesetze, die allesamt der Aufrechterhaltung von Autorität und Kontrolle dienen. Dies ist seit dem Westfälischen Frieden von 1648 nichts Neues, also seit der Geburtsstunde des Konzepts des modernen Nationalstaats.

Leider will niemand hören, dass Freiheit vom Staat definiert wird und kein angeborenes, vorstaatliches Recht ist.

Die politische Autorität erhält die Ordnung durch das Gewaltmonopol, unabhängig von anderen Gesetzen und Vorschriften, und der Staat unterwirft die Population diesem Prinzip. Alles, was der Staat einrichtet, erlässt und durchsetzt, setzt ein Gewaltmonopol voraus. Dazu gehört auch die Freiheit, die uns der Staat zugesteht. Die Freiheit, und das ist der Knackpunkt, ist keine grundlegende menschliche Eigenschaft: Sie wird vom Staat gewährt. Und die Justiz überwacht diese Gewährung. Das Rechtssystem prüft, ob alle Subjekte im Rahmen des Erlaubten handeln und gewährt einen Rahmen für akzeptables Verhalten. Es antizipiert auch Verstöße, aber ist in dieser Eigenschaft meist reaktiv. Verstöße, also Gesetzesübertretungen, ziehen in der Regel Ermittlungen und andere rechtliche Maßnahmen nach sich. Der vorgegebene gesetzliche Rahmen schränkt das Verhalten ein und kann zu Unzufriedenheit führen. Diese Unzufriedenheit wiederum führt dazu, dass einige Bürger:innen den Staat in einer Weise „korrigieren“ wollen, die ihn bedroht. Der Staat schützt sich vor solchen Bedrohungen mit zusätzlichen Sicherheitsorganen, nämlich den Inlandsgeheimdiensten. Diese Organe setzen den Rahmen fest, innerhalb dessen sich die Bürger:innen kritisch über den Staat äußern dürfen, und überwachen allfällige Bedrohungen. Und es ist üblich, dass solche Dienste bereits im Vorfeld eines Rechtsverstoßes, also sehr proaktiv tätig werden; und das braucht natürlich teuer erkaufte Information.

Einwände gegen staatliche Überwachung werden oft damit begründet, dass diese die Freiheit untergraben würde. Die Geheimhaltung von Überwachungsprogrammen und die Bestrafung von Whistleblowern nähren dieses Missverständnis nur. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass der Staat und seine Kritiker:innen Freiheit aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Der Staat sieht Freiheit als ein Konstrukt, das unter seiner souveränen Herrschaft existiert. Aber die meisten Menschen haben eine andere Vorstellung, wenn sie von „Freiheit“ sprechen. Ich erinnere an die weitverbreiteten Demos gegen Vorratsdatenspeicherung in Deutschland, die unter dem Slogan „Freiheit statt Angst“ firmierten. Leider will niemand hören, dass Freiheit vom Staat definiert wird und kein angeborenes, vorstaatliches Recht ist, und dass Kritik viel tiefer ansetzen müsste, nämlich an der Funktion und Struktur staatlicher Hegemonie.

Die meisten, selbst viele Linksliberale, akzeptieren Überwachung als notwendig, und die Kritik konzentriert sich lediglich auf das Übermaß, den Exzess, die „Das-geht-aber-jetzt-zu-weit“-igkeit. Natürlich wird auch argumentiert, dass es undemokratisch sei, alle Bürger:innen als potenzielle Sicherheitsbedrohungen zu behandeln. Tiefer setzt die Kritik, auch der radikalsten Datenschützer:innen, aber meist nicht an. Dies verrät auch viel über die defätistische Denkweise und den Unwillen im Kampf um neue politische Möglichkeiten. Denn Freiheit und Unterordnung sind staatsphilosophisch untrennbar miteinander verbunden, jedenfalls in den gegenwärtigen Verhältnissen. Aber ist das die Welt, die wir wollen?

Johannes  Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner ist Gründer des Kunst-Kollektivs monochrom und schreibt als Karenzvertretung von Ingrid Brodnig.