Kolumne

Die gefährliche Schere bei Einkommen und Vermögen

Einkommen und Vermögen in Österreich sind ungerecht verteilt. Das sagen nicht nur Expertenorganisationen wie die OECD, sondern nach jüngsten Umfragen auch sieben von zehn Österreicher:innen.

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Hierzulande hat jeder Zweite kein nennenswertes Vermögen. In dieser "unteren" Hälfte der Bevölkerung leben fast alle in einer Mietwohnung. Das heißt: Diese Hälfte der Bevölkerung spürt es als Erstes und am härtesten, wenn die Mieten steigen. Und die steigen nicht erst seit Krieg und Teuerungskrise. Seit 2010 sind die privaten Mieten um fast 60 Prozent gestiegen; die Einkommen aber nur um 34 Prozent.

Das spüren und sehen die Leute oben und unten: Die vielen in Österreich müssen sich um ein paar Bröserl streiten. Und die Reichen haben mehr Kuchen, als sie sich in einem ganzen Leben reinstopfen können. 50 Prozent des privaten Nettovermögens gehören in Österreich dem reichsten Hundertstel des Landes, schätzt die Nationalbank. Der ärmeren Hälfte der Bevölkerung gehören nicht einmal vier Prozent.

Und das wird nicht besser, sondern immer schlimmer: In den kommenden 30 Jahren werden 700 Milliarden Euro vererbt werden. Und die Hälfte dieser Erbschaften wird wieder an das reichste Zehntel der Haushalte gehen. Steuerfrei.

Laut Statistik Austria sind binnen eines Jahres 40.000 Menschen mehr in die handfeste Armut gestürzt. Das ist eine mittlere österreichische Stadt wie Steyr.

Laut Statistik Austria sind binnen eines Jahres 40.000 Menschen mehr in die handfeste Armut gestürzt. Das ist eine mittlere österreichische Stadt: etwa Steyr, Bregenz oder Wiener Neustadt. Und 1,5 Millionen in Österreich sind in akuter Gefahr, auch in die Armut abzurutschen. Jeder Fünfte davon ist ein Kind.

Die Regierung hat zwar ein Paket gegen Kinderarmut geschnürt, aber das ist viel zu klein, um wirklich etwas zu bewirken: Das Paket holt nur knapp 50.000 Menschen aus der Armut. Das sind gerade mal vier Prozent der Betroffenen. Und nicht viel mehr, als im letzten Jahr in die Armut gestürzt sind

Die 60 Euro im Monat sind einfach nicht genug: Sie gleichen einer Alleinerzieherin nicht einmal die Mehrkosten für Essen, Wohnen und Energie aus. Denn das Loch, das ihr die Teuerung monatlich in die Geldbörse frisst, ist mittlerweile 180 Euro groß.

Ihr Gehalt wird kräftig besteuert, während es weiterhin keine vernünftigen Reichen-und Luxussteuern gibt. Durchschnittsverdiener:innen geben monatlich 47,6 Prozent ihres Bruttolohns an den Staat ab.

Und die vielen tragen damit den Hauptteil unseres Staatshaushalts: Von 100 Euro Steuereinnahmen kommen 80 von uns allen gemeinsam. Mehrwertsteuer zahlen wir ja für jedes Wurstsemmerl. Allein 20 dieser 80 Euro kommen aus unserer Lohn-und Einkommensteuer. Zum Vergleich: Nur sechs von diesen 100 Euro zahlen die Konzerne Steuern auf ihre Gewinne. Und die Vermögen? Lächerliche vier von 100 Euro. (Die restlichen elf Prozent stammen aus Kommunalsteuern, Hundesteuer und so weiter.)

In Österreich herrscht eine bemerkenswerte Ungleichverteilung der Vermögen. Das sagt nicht Karl Marx, sondern die EU-Kommission. Sie empfiehlt Österreich dringend, Erbschaften und Vermögen endlich stärker für die Gemeinschaft zu besteuern.

In Österreich herrscht eine "bemerkenswerte Ungleichverteilung der Vermögen". Das sagt nicht Karl Marx, sondern die EU-Kommission. Sie empfiehlt Österreich dringend, Erbschaften und Vermögen endlich stärker für die Gemeinschaft zu besteuern. Denn da ist etwas gekippt in Österreich; Arbeit wird im Vergleich zu Reichtum einfach übermäßig besteuert.

Anders gesagt: Leistung lohnt sich in Österreich nicht. Erben schon. Von allen EU-und OECD-Ländern müssen Reiche in Österreich am wenigsten beitragen. Aber das ist kein Zufall, das ist politisch gewollt.

Denn das war schon mal anders. Bis 1993 gab es in Österreich eine Vermögenssteuer im engeren Sinne; bis 2007 eine Erbschaftssteuer. Die Steuern auf Vermögen sinken in Österreich seit Mitte der 1960er-Jahre. Auch die Gewinne von Unternehmen haben wir vor ein paar Jahren noch mit 34 Prozent besteuert. Heuer sind es 24 Prozent, ab 2024 nur noch 23 Prozent.

Damit schenken wir im Jahr fast eine Milliarde her. Und das Geschenk landet zu fast 90 Prozent auf den Konten der reichsten zehn Prozent. Denen gehören die Unternehmen nämlich, deren Steuern wir Jahr für Jahr runterschrauben.

Dass hier etwas entgleist ist, das spüren die Österreicher:innen. Nicht nur die EU-Kommission, auch acht von zehn Österreicher:innen, egal ob arm oder reich, finden, dass die Politik die Schere wieder schließen muss. Dass die Steuern auf Arbeit und die Steuern auf Vermögen wieder ins Gleichgewicht müssen.

Wer arbeitet, soll weniger beitragen müssen. Und wer erbt oder Gewinne mit seinem Vermögen macht, soll mehr beitragen. Dann wären unsere Steuern im Schnitt für alle niedriger, statt wie jetzt für ein paar wenige viel zu niedrig.

Die politische Elite sagt dazu aber stur: nein. Egal was die EU-Kommission sagt; egal was die Mehrheit der Bevölkerung will. Für Finanzminister Magnus Brunner ist das trotzdem eine "Phantomdiskussion". Das Problem: Für die Mehrheit der Bevölkerung ist das aber ein sehr reales Problem, die Menschen spüren es in der eigenen Geldbörse, und sie sehen es im eigenen Kühlschrank.

Von den Befragten, die sagen, das Vermögen im Lande ist ungerecht verteilt, sagen 80 Prozent auch: "Unser politisches System funktioniert nicht." Aber für Brunner und Co funktioniert das System eben doch. Ein Blick auf die Spendenlisten der Parteien (oder in die WhatsApp-Prosa von Thomas Schmid) reicht, um zu sehen: Sie profitieren davon, wenn einige wenige viel zu viel haben.

Es sind die wenigen Reichen, die ihre schützende Hand und ihr schützendes Scheckbuch über die (eigenen) Vermögen halten. Den Preis dafür bezahlen wir aber alle: Vor fünf Jahren haben 33 Prozent gesagt, das politische System funktioniere "wenig" oder "gar nicht gut". Heute ist laut SORA-Demokratiemonitor eine Zweidrittelmehrheit der Ansicht, das politische System funktioniere nicht.

Wenn die Politik die Vermögensverteilung noch länger ignoriert, erodiert das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik, Probleme zu lösen und die Lebensumstände der Menschen besser zu machen. Aber dieses Vertrauen ist die harte Währung unserer Demokratie. Wenn die nichts mehr wert ist, dann wird's düster.

Barbara Blaha

Barbara Blaha

leitet das ökosoziale Momentum Institut.