Die Gentechnik-Schwurbler
„Wissenschaftsskeptisch“ klingt fraglos besser als „doof“. Aber letztlich sind die beiden Begriffe meist synonym zu verwenden. (Die Ausnahme ist der antike Skeptizismus, der nicht doof war, aber eine Art philosophische Sackgasse.) Wissenschaftsskeptisch sind Menschen, die keine fundierte Ahnung von etwas haben und dennoch der Gesamtheit der Fachleute, die zum selben Thema mehr oder weniger alles wissen, misstrauen.
Ein Beispiel: Während der Coronapandemie erhielten wir allabendlich via Nachrichten Besuch von Epidemiologen, die uns zu erklären versuchten, wie eine Pandemie entsteht und wie man sie bekämpfen kann. Bald spaltete sich die Bevölkerung. Die einen nahmen die Erkenntnisse der Wissenschaft dankbar an, die anderen weigerten sich und begründeten dies mit meist wirren Einwänden. Letztere nennen sich Impfskeptiker.
Ähnlich ist es mit dem Klima. Die Gesamtheit der Klimatologinnen und Klimatologen ist sich einig, was der Mensch mit seinem CO2-Ausstoß anrichtet und dass man dem Einhalt gebieten muss. Prompt meldeten sich sogenannte Klimaskeptiker, die auf Basis von YouTube-Weisheiten meinen, cleverer zu sein als das weltweite Forscherkollektiv.
Glücklicherweise tummeln sich die Impf- und Klimaskeptiker mit Vorliebe in sozialen Medien, nicht aber – zumindest derzeit – in Regierungsämtern. Aus dem Forschungsstand vernünftige Politik abzuleiten, ist schwierig genug. Diesen unbegründet anzuzweifeln, wäre das Ende rationalen Handelns.
Doch eine Form von Wissenschaftsskepsis gilt in Österreich als quasi offiziell legitimiert: Man glaubt den Epidemiologen und den Klimatologen, nicht aber den Genetikern. Dieses Phänomen ist so sonderbar, wie es klingt. Man könnte ebenso gut den Biologen glauben, nicht aber den Physikern.
Derzeit ist diese Eigenheit besonders relevant. Die Europäische Union möchte die Regeln für gentechnisch modifizierte Pflanzen, die mittels einer neuen Methode bearbeitet wurden, lockern. Diese „Neuen Genomischen Techniken“ (NGT) verändern Pflanzen auf eine Art, wie sie auch durch konventionelle Züchtung abläuft – nur schneller. Mit anderen Worten: Es ist praktisch nicht nachzuweisen, wie die Pflanze gentechnisch verändert wurde, und es spielt auch keine Rolle.
Nicht weniger als 34 Nobelpreisträger und weitere 1000 Wissenschafter haben einen offenen Brief verfasst, um „die Dunkelheit der antiwissenschaftlichen Angstmache“ zurückzuweisen, die dieser Technologie Hindernisse in den Weg legen will. Unter den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern sind etwa die Erfinderinnen der berühmten Methode „CRISPR“, der sogenannten Gen-Schere. Die Experten sind sich einig, dass Risiken der NGT-Pflanzen zu vernachlässigen sind – ähnlich wie Impfschäden durch die Corona-Impfung.
Dennoch hält sich gerade in Österreich die Gentechnik-Skepsis, und zwar auch in Parteien und NGOs, die von Wissenschaftsskepsis bei Klima oder Corona nicht angekränkelt sind. SPÖ und Grüne etwa sind durch kollektives Beteuern von Nobelpreisträgern, es bestünde keine Gefahr, nicht zu beeindrucken. Sie beharren auf dem „Vorsorgeprinzip“, auf langwierigen Zulassungsverfahren und auf einer Kennzeichnung, damit Konsumenten wissen, „wo Gentechnik zum Einsatz kommt“, so etwa SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl. Und die grüne EU-Abgeordnete Sarah Wiener bezeichnet es als „Verrat“, auf eine Kennzeichnung der NGT-Produkte zu verzichten. Dass man etwas kennzeichnen soll, das nachweislich keinen Unterschied macht, fällt wohl eher in den mystisch-emotionalen Bereich.
Die Argumente der Gentechnik-Skeptiker gleichen auf frappierende Weise denen der Impfskeptiker.
Die Panikmache zeigt Wirkung. Nach einer Umfrage, die vom Handelsverband und der Umweltschutzorganisation Global 2000 in Auftrag gegeben wurde, verlangen 94 Prozent der österreichischen Bevölkerung weiterhin eine Kennzeichnung des Gentechnik-Einsatzes – auch bei ununterscheidbaren Produkten. 70 Prozent sprechen sich gegen einfachere und schnellere Zulassungen aus.
Warum ist es so wichtig, dass NGT-Pflanzen erzeugt und verbreitet werden? Das Nobelpreisträger-Kollektiv erläutert auch das bereitwillig: Solche gefahrlos und effizient veränderten Pflanzen können der Landwirtschaft dabei helfen, auf Pestizide und Düngemittel zu verzichten und die Erträge zu sichern. Das verlangsamt den Verlust an Artenvielfalt, hilft beim Klimaschutz und im Kampf gegen Nahrungsmittelknappheit.
Die Argumente der Gentechnikskeptiker gleichen auf frappierende Weise denen der Impfskeptiker: Die Sicherheit der Bevölkerung würde den Profitinteressen der Konzerne geopfert. In einem Fall sind es die Agrar-, im anderen die Pharmakonzerne.
Vergangenen Mittwoch passierte der Vorschlag der EU-Kommission – allerdings mit Kennzeichnungspflicht – den Umweltausschuss des Europäischen Parlaments, im Februar wird im Plenum abgestimmt. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hat ihrerseits auf ihrer Website einen offenen Brief „für eine wissenschaftsbasierte Beurteilung grüner Gentechnik“ veröffentlicht. Bitte lesen!