Leitartikel

Die Grünen sind selbst schuld

Die Grünen haben bei Lena Schilling ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Ein möglicher PR-Coup war wohl wichtiger als auf ein politisches Schwergewicht zu setzen. Dabei bräuchte die EU gerade das, um Krisen bewältigen zu können.

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Es ist fast wie ein Autounfall, bei dem man nicht wegschauen kann. Zuerst rückte die gesamte Grüne Führung für ihre EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling in einer atemberaubend strategisch misslungenen Pressekonferenz aus. (Vizekanzler Werner Kogler sprach von „Gefurze“). 

Dann passierte etwas, das es auch nur in Österreich gibt: Bundespräsident Alexander Van der Bellen höchstpersönlich legte nach und plädierte dafür, das Privatleben nicht in Wahlkämpfe hineinzuziehen. 

Am Mittwoch folgte dann Teil drei des skurrilen Verteidigungsreigens: Noch eine Pressekonferenz. Schilling, ein rhetorisches Talent, hatte ihre Rolle gut einstudiert und sagte mit betroffener Mimik, was sie zu sagen hatte. Generalsekretärin Olga Voglauer entgleiste. Sie sprach von „Silberstein-Methoden“, die sie gleich einmal Richtung SPÖ warf. Zur Erinnerung: Tal Silberstein ist ein israelischer Politikberater, der den Nationalratswahlkampf 2017 bewegte, weil er im Auftrag der SPÖ eine Schmutzkübelkampagne gegen die ÖVP führte.

So sehen das die Grünen nämlich – dass eine Schmutzkübelkampagne gegen sie und ihre Spitzenkandidatin geführt werde. Nur, das stimmt nicht, die Schuld für die Misere dürfen sie bei sich selbst suchen. Zugegeben, auf dem Papier war Schilling keine schlechte Idee: eine junge Frau mit hohen Bekanntheitswerten, die junge Wähler mobilisieren könnte und auf das Kernthema „Umweltschutz“ einzahlt. 

Darüber hinaus hatten die Grünen aber ihre Hausaufgaben nicht gemacht und ihre EU-Kandidatin auf Herz und Nieren und möglicher Probleme abgeklopft. Hätten sie das getan, hätten sie mit Jugendorganisationen, der Klimabewegung und anderen Schilling-Weggefährten gesprochen, hätten sie sehen können: Das könnte problematisch werden, denn irgendwie gab es immer überall Wirbel und Drama mit Schilling. Die beklagt sich nun darüber, dass medial die Charakterfrage gestellt werde . Es geht um Glaubwürdigkeit – und jemand, der offenbar verleumdet und das immer wieder, besitzt sie eben nicht. Die ist nun mal des Politikers höchstes Gut – dass die Grünen Schillings Defizite diesbezüglich nicht erkannt haben, ist ihnen vorzuwerfen.

Und nicht nur das: Die Wahl ihrer Spitzenkandidatin erfolgte mehr aus PR-Gründen denn aufgrund von fachlicher Breite. Politisches Schwergewicht ist Schilling freilich nicht – wie sollte sie auch mit ihren jungen Jahren. Dabei bräuchte es gerade jetzt nur die erfahrensten und besten Politiker auf EU-Ebene. Denn die Lage ist ernst, was man erkennen müsste, wenn man kurz über die illustre, österreichische Politblase hinausblickt.

Schauen wir in die Slowakei: Nach dem Mordanschlag auf Ministerpräsidenten Robert Fico sprach der slowakische Verteidigungsminister Robert Kalnak davon, sein Land „am Rande eines Bürgerkriegs“ zu sehen.

Drehen wir den Kopf in die andere Richtung Deutschland, auch dort gab es ein Attentat auf einen Politiker: Der SPD-Europapolitiker Matthias Ecke wurde brutal zusammengeschlagen. Auch sonst kämpft das Land mit allerhand innenpolitischen Problemen und ist insgesamt geschwächt.

Nicht gut, denn Deutschland ist nach dem Brexit neben Frankreich das tonangebende politische Gewicht der EU – und die hat derzeit einiges an wirklich ernstzunehmenden Problemen zu bewältigen. Weitere zeichnen sich schon am Horizont ab.

Nehmen wir die Wirtschaft: Der europäische Raum erlebte die vergangenen Quartale eine Rezession, von der sie sich nur langsam erholt. Viel schlimmer ist der internationale Vergleich mit Mächten wie Indien oder China – wir werden abgehängt, es gibt dringenden Handlungsbedarf.

In der Ukraine eskaliert die Lage zusehends. Putins Krieg dort ist auch einer gegen den Westen, was ist, wenn sich das ausweitet? Die EU wird zusammenstehen müssen. Das ist nicht der einzige Krisenherd, der Haltung erfordert – man denke an Iran und Israel. Es braucht internationale Bemühungen, um dort wieder friedliche und sichere Zustände herzustellen.

Sollte Donald Trump die Wahl in den USA im Herbst gewinnen, wird der EU eine deutlich gewichtigere Rolle als Weltenpolizei zukommen. Wie diese EU nach der Wahl Mitte Juni aussehen wird, ist offen – ein Rechtsruck ist zu erwarten, und damit eine Veränderung der Haltung der Union in manchen weltpolitischen Fragen. Das alles hat auch Auswirkungen auf Österreich. Angesichts dieser schwierigen Gemengelage wäre es geboten nur die Besten, Erfahrensten, Resilientesten und Bedachtesten als Spitzenkandidaten aufzustellen.Das gilt auch für die Grünen, die in der Vergangenheit mit Parlamentariern wie Ulrike Lunacek durchaus die politische Elite in Brüssel aufboten. Bei dieser Europa-Wahl  ist ein möglicher PR-Coup offenbar wichtiger geworden.  

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.