Kommentar

Die Hitlers sind da! Das Wiener Volkstheater verhöhnt die FPÖ

Volkstheater-Intendant Kay Voges setzt weiter auf politischen Aktionismus, mobilisiert brachiale Satire gegen den blühenden Rechtsextremismus. Die von der Theaterleitung nun veröffentlichte Mitsing-Hymne könnte aber auch in die Gegenrichtung losgehen.

Drucken

Schriftgröße

Der seit 2020 amtierende Volkstheater-Chef Kay Voges, der gerade seine letzte Saison in Wien absolviert, ehe er ab Herbst 2025 das Programm des Schauspiels Köln verantworten wird, hat offensichtlich nicht mehr viel zu verlieren. Vor wenigen Tagen überraschte er die Öffentlichkeit (und wohl auch Wiens Kulturabteilung sowie das Kunststaatssekretariat) mit der Idee, das Haus am Arthur-Schnitzler-Platz im Fall eines Wahlsiegs der FPÖ in „Deutsches Volkstheater“, wie das Haus bis 1945 hieß, rückbenennen zu lassen.

Nun hat Voges auf allen verfügbaren Kanälen einen brachialsatirischen Videoclip veröffentlicht, der den – auf FPÖ-Wahlplakate und eine nationalsozialistische Propagandaparole – referierenden Titel „Euerrr Wille geschehe (Heim ins Rrreich!)“ trägt. Eine fiktive Band namens „Die Hitlers“ intoniert darin in Punk-Manier einen Rocksong, der (getextet von einem gewissen Adolf Urlaub) das Parteiprogramm der Freiheitlichen – Punkt 2, Heimat, Identität und Umwelt: „Sprache, Geschichte und Kultur Österreichs sind Deutsch“ – beim Wort nehmen will: Im (tatsächlich im Originalzustand existierenden) „Führerzimmer“ des Volkstheaters treiben darin vor euphorisch wackeliger Kamera eine Horde von Hitler-Klonen in stilisierten NS-Monturen ihr Unwesen; der Intendant persönlich tritt als einer von ihnen in Szene. Neben dem Singen und Tanzen betrinkt man sich, masturbiert, geht sadomasochistischen Spielen nach und setzt einem Kickl-Foto die SS-Dienstkappe auf.

„Der Anschluss ist zum Greifen nah“

Textprobe: „Der Anschluss ist zum Greifen nah / Es riecht nach Umsturz, wunderbar! / Der Kickl ist ein Ehrenmann / Von dem Höcke noch was lernen kann / Europa, Asien, Afrika, Australien und Amerika / Sind uns heute ganz egal / Das Deutsche Reich ist wieder da! / Heim ins Reich, heim ins Reich, Österra-a-a-a-eich / Nicht erst bald, sondern gleich, heim ins Ra-a-a-a-eich.“

Man kommt nicht umhin, die Chuzpe zu bewundern, mit der Voges und sein Team in dem – „vom Reichsmusikministerium produzierten“ – Video zum Song aus dem Vollen schöpfen. An Geschmacklosigkeit ist es nämlich schwer zu überbieten. Am Ende wird auch dem Wiener Aktionismus und der alten Idee von „Kunst und Revolution“ noch gehuldigt: Künstliche Scheiße spritzt in die Gesichter und die lustvoll geöffneten Münder der Hitler-Zombies. Zurückhaltung war gestern.

Lachen über Nazis

Über Nazis zu lachen hat in der jüngeren Kulturgeschichte natürlich gute Tradition: Schon Charlie Chaplin, Walt Disney und Ernst Lubitsch machten sich, mit feinerer Klinge, über den „Führer“ lustig; die britische Punkszene der 1970er-Jahre brachte mit Hakenkreuz und Nazizitaten ihren Ekel vor dem Zustand der Welt zum Ausdruck, und auch Aktionskünstler wie Christoph Schlingensief hantierten gern in kathartischer Absicht mit den Insignien und Parolen des rechtsextremen Spektrums.

In der Pressemitteilung zu dieser Aktion kehrt Voges dann allerdings zum Ernst zurück: „Es liegt jetzt auch an Ihnen, zur Wahl zu gehen und für ein demokratisches und freies Österreich einzutreten“, mahnt der Intendant. „Eine Partei, die offen über die Zwangsdeportation von Mitmenschen fantasiert und zugleich die Kriegsverbrechen der Waffen-SS relativiert, ist meiner Meinung nach nicht wählbar.“ Das Video sei „nichts anderes als ein Aufruf an alle, jetzt Verantwortung zu zeigen“.

Es wäre nun, angesichts der manifesten Obszönität der Wirklichkeit, völlig verfehlt, diese theatrale Aktion zu skandalisieren – was mit Sicherheit in den kommenden Stunden und Tagen dennoch geschehen wird. Aber bei allem Respekt vor wütender Satire und überschäumendem Widerstand von links: Die zelebrierte Heiterkeit in diesem Musikvideo ist auch ein Problem. Denn abgesehen von der Frage, ob man die Wiedergänger eines Terrorregimes noch derart veralbern sollte: Vor allem die sich unaufhaltsam in die Gehörgänge dübelnde Fun-Punk-Melodie zur Titelzeile „Heim ins Reich“ könnte sich zu einer im Alltag gegrölten Hymne verselbstständigen. Besser nicht.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.