Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst
Österreich ist zwar ein kleines Land, gelangte 2024 aber wieder einmal mehrfach zu Weltberühmtheit. Leider eher selten im positiven Sinn. Ich saß in diesem Jahr häufig mit Journalisten großer internationaler Medien wie der „Washington Post“, der „Financial Times“, der „New York Times“ oder dem „Spiegel“ in Kaffeehäusern und versuchte wortreich (und gestikulierend), den staunenden Kollegen zu erklären, was hier eigentlich los ist. Man wollte wissen, wie es denn sein kann, dass Verfassungsschützer, gegen die seit Jahren wegen Russlandspionage ermittelt wird, noch immer frei herumlaufen – und weiter vom Staat bezahlt werden. Ob es irgendeine logische Erklärung dafür gibt, dass die Protagonisten des Wirecard-Skandals allesamt aus Österreich kommen – die Causa entpuppt sich als riesiger Spionageskandal, dessen Ausläufer in weite Teile der Welt reichen. Überhaupt: Warum es hierzulande niemand als alarmierend oder dramatisch zu empfinden scheint, dass Wien mit guten Gründen als Hauptstadt der Spione bezeichnet wird – sondern eher James-Bond-Witzchen darüber gerissen werden.
Warum die wirtschaftlichen Bande mit Russland trotz Ukraine-Krieges noch immer so eng sind. Wie es sein kann, dass jene Partei, die einen offiziellen Freundschaftsvertrag mit Russland abgeschlossen hat (und einst von Nazis gegründet wurde), nun plötzlich als großer Sieger aus mehreren Wahlen hervorgeht. Warum die FPÖ gar als Blaupause für die europäische Rechte dient. Wie konnte der einst so erfolgreiche ÖVP-Chef Sebastian Kurz so tief fallen, dass er zu einer bedingten Freiheitsstrafe (nicht rechtskräftig) verurteilt worden ist? Und dann wäre da noch Ex-Wunderwuzzi René Benko, der mit seiner Signa eine gewaltige Pleite hinlegte, die Milliardenschäden für Investoren auf der ganzen Welt verursacht hat. Wie bitte? Warum bitte?
Vielleicht ist die Verrücktheit von 2024 auch der Tatsache geschuldet, dass es ein Superwahljahr war. Bekanntlich sind Wahlkämpfe laut dem Wiener Altbürgermeister Michael Häupl „Zeiten fokussierter Unintelligenz“. Die anekdotische Evidenz des vergangenen Jahres gibt ihm recht.
Nun, ich hatte nicht immer nur gute, rationale Antworten, obwohl wir bei profil täglich versuchen, zu verstehen, einzuordnen – und zu erklären. Manchmal genierte ich mich stellvertretend ein wenig für das Land. Denn tatsächlich scheinen Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein nicht immer die größten Tugenden jener zu sein, die die Geschicke Österreichs leiten. Es ist sonst wirklich nur schwer zu erklären, wie man ein Milliardenbudgetloch aufreißt, das „komischerweise“ erst nach einer geschlagenen Nationalratswahl so richtig auseinanderklafft. Oder wie man auf Teufel komm raus eine EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling durchdrückt, obwohl man doch schon vorher wusste, welche Probleme man sich damit einhandelt. Noch schockierender war nur, was hinter den Kulissen dazu abgelaufen ist: Interventionen in Redaktionen und Message-Control par excellence. Von den Grünen hätten sich die dafür berühmten türkisen Kettenhunde von Sebastian Kurz noch etwas abschauen können.
Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum man als Tiroler SPÖ-Vizelandeshauptmann unbedingt mit Benko jagen gehen muss. Warum hochrangige, wegen Dokumentenfälschung verurteilte FPÖ-Funktionäre weiter im Parlament aktiv sind. Warum ein Linzer SPÖ-Bürgermeister einem Freund einen Top-Job zuschanzt, von dem er nachher nichts mehr wissen will. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. „Man wird sich noch wundern, was alles möglich ist“, sagte Ex-FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer einst. Da hat er zumindest für dieses vergangene Jahr recht behalten. Aber vielleicht werden wir im nächsten Jahr noch Wunder erleben. Im positiven Sinn.
Vielleicht ist die Verrücktheit von 2024 auch der Tatsache geschuldet, dass es ein Superwahljahr war. Bekanntlich sind Wahlkämpfe laut dem Wiener Altbürgermeister Michael Häupl „Zeiten fokussierter Unintelligenz“. Die anekdotische Evidenz des vergangenen Jahres gibt ihm recht. Die politische Landschaft war in Dauerhysterie: Es begann im Frühling mit Salzburg, im Frühsommer folgten die EU-Parlamentswahlen, dann Vorarlberg-Wahlen, Nationalratswahlen und Steiermark-Wahlen. Dazwischen war da auch noch eine US-Wahl, die Auswirkungen auf die ganze Welt hat – inklusive Steiermark und Vorarlberg. Die Karten wurden heuer teils völlig neu gemischt, und auch wenn das eine oder andere Wahlergebnis auf den ersten Blick Unwohlsein hervorruft: Es birgt auch Chancen, dass sich wirklich etwas verändert. Das ist nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, denn um Wirtschafts-, Bildungs- und Gesundheitskrise weiter nur herumzuwursteln, das geht sich nun wirklich nicht mehr aus. Wir haben den Boden erreicht, aber das ist eine gute Nachricht: Es kann nur besser werden. In diesem Sinne: Frohes neues Jahr!