Die Rache der Nerds
Historisch gesehen war die erste Welle des New Wave (1976–1983) eine Bewegung des kreativen Missbrauchs von kaum genutzter Medientechnik. Die Eltern (in der Regel technikbegeisterte Väter aus der Baby-Boomer-Generation) kauften teure Geräte wie Super-8- und Polaroid-Kameras und benutzten sie nur, um Geburtstagsfeiern und andere eminent fadgasigen Zeremonien zu „dokumentieren“. Aber die rebellischen Teenager fanden interessante neue Dinge, die sie mit der verstaubten Medientechnik anstellen konnten, und es begann eine der größten Do-it-yourself-Revolutionen des 20. Jahrhunderts. Die Jugendlichen alberten mit Konsumgütertechnik herum (also: eigneten sie sich an) und erschufen mit Homecomputern und VHS-Camcordern Wunderbares. Punk wurde Cyberpunk, und selbst Leute, die zu jung waren, an der first wave teilzunehmen, schlürften die kulturellen Schockwellen auf wie Vanillemilch von NÖM. Auf lange Sicht brachte auch mich das in die fürsorglichen Arme von Publikationen wie Mondo 2000 und RE/Search, und führte zur Gründung meiner Kunstneigungsgruppe monochrom.
Heute beherrschen die Nerds meiner Generation den Planeten. Sie sind die Gründer von Google, Apple und Amazon, und einer der furchtbarsten Techbros, Elon Musk, ist die Höllenvorstellung eines hyperprivilegierten Dorks und plakatives Beispiel für diese gesellschaftliche Umschichtung.
Die Frühphase der Nerdkultur war im besten Sinne eine Außenseiter:innenbewegung, ein Randgruppenspielplatz abseits der Alltäglichkeit. Der Begriff Nerd an sich ist ja schon eine sogenannte appropriation of hate speech. Wer sich für Technologie, Science-Fiction und Comics interessierte, der war Ziel des Spotts. Und auch ich war als Teil dieser kleinen Blase Opfer und Zeuge der Hänseleien und Ausgrenzungen, die damit verbunden waren. Doch was ist aus uns geworden? Heute beherrschen die Nerds meiner Generation den Planeten. Sie sind die Gründer von Google, Apple und Amazon, und einer der furchtbarsten Techbros, Elon Musk, ist die Höllenvorstellung eines hyperprivilegierten Dorks und plakatives Beispiel für diese gesellschaftliche Umschichtung. Als kleines Nebenprojekt gründete Musk vor ein paar Jahren eine Firma, die Flammenwerfer für den Heimgebrauch herstellte. Und das macht auch nur dann kontextuell Sinn, wenn man weiß, dass er als Buberl der 1980er-Jahre ein massiver „Spaceballs“-Fan war. In einer herrlichen Szene wird da nämlich von Mel Brooks „Spaceballs: Der Flammenwerfer“ als Merchandise angepriesen: „The kids love it!“ Ich fand das damals auch sehr kewl, aber Elon schien die Botschaft nicht verstanden zu haben oder im Fegefeuer der Meta-Ironie festzustecken. Auch „RoboCop“ (angeblich ein Lieblingsfilm von Jeff Bezos) war keine Anleitung für eine coole Zukunft, sondern eine blutgetränkte Satire auf die Exzesse der Reaganomics und wohin sie uns führen würden.
Nerds sind heutzutage privilegierte Konsument:innen, und ihre Traumata werden in Produkten wie „Stranger Things“ zu Kassenschlagern. Die Demütigungen, die wir dereinst durchlebt hatten, wandelten sich in bizarre neue Formen der Macht, der Unterdrückung, der Übertrumpfung, der Ausgrenzung. Nerds sind nun Herrschaft, und viele von ihnen befinden sich in einer Art god mode – so als hätte Stanley Milgram einen feuchten Traum entworfen.
In einer Welt, die von Tech dominiert wird, müssen wir Nerds uns fragen, warum wir uns immer noch als Outcasts sehen. Wahrscheinlicher ist, dass viele von uns das geworden sind, was wir einst so kritisierten; wie Steve Jobs, der IBM nicht besiegte, sondern – wie machiavellistisch! – einfach IBM wurde. Mich interessiert, wie wir diese Kultur auseinandernehmen können, wie eine farbenprächtige Vivisektion, um ihre Strukturen zu analysieren und ihr Potenzial für Größe zu ergründen. Denn Nerdkultur hat wunderbare gegenkulturelle Aspekte, Inklusivität und positive Besessenheit, die ich bewahrt und eingesetzt sehen möchte. Aber leider war die Geek-Psychologie sehr einfach in die Welt des neoliberalen Kapitals zu assimilieren.
In einer Welt, die von Tech dominiert wird, müssen wir Nerds uns fragen, warum wir uns immer noch als Outcasts sehen. Wahrscheinlicher ist, dass viele von uns das geworden sind, was wir einst so kritisierten.
Westliche Gesellschaften verändern sich zunehmend von disziplinarischen Gesellschaften zu Kontrollgesellschaften, die „Kontrolle und Bestrafung“ in „Selbstkontrolle und Selbstbestrafung“ transformieren. Dieser Wechsel bedeutet, dass unsere Bosse plötzlich unsere besten Freund:innen sind und wir glauben, dass es gut für uns ist, am Wochenende zu arbeiten, weils ja gut fürs Résumé ist, und weil wir eh eine Arcade-Maschine im Gemeinschaftsraum haben. Wir müssen versuchen, eine andere Perspektive zu schaffen, wenn viele alte Subversionsstrategien zum Mainstream geworden sind.
Taktische Zweckentfremdung von Tech hat ihre Grenzen, und wir können nicht vollständig autonom vom klassischen Produktions- und Distributionssystem sein. Wir können uns auch nicht vor absurden geistigen Eigentumsstreitigkeiten und der Konzern-Hardware des Netzes verstecken. Um wirklich unabhängig zu sein, müssten wir unsere eigenen emotionalen support systems und unsere eigene Infrastruktur aufbauen. Aber das ist …
(Stoßseufzer.)
„Es ist nicht wichtig, was wir wissen wollen, sondern warum wir es wissen wollen“, schrieb einst Michel Foucault. Klebt euch das alle an die Pinnwand, gleich neben das WiFi-Passwort.