Die Unbestechlichen
Das war Ivan jetzt wirklich peinlich. Noch niemals zuvor in seiner bislang wirklich erfolgreichen Karriere als …, äh, russischer Informationsdienstleister hatte er derartig versagt. Er konnte nur hoffen, dass man sich daheim in Moskau gnädig zeigen würde. Und ihn an die Front der Spezialoperation in der zu entnazifizierenden ukrainischen SSR schicken würde. Einfach nur so. Ohne am Rücken zusammengebundene Hände.
Er war ja nun wirklich schon in vielen Städten des wachsamen Westens stationiert gewesen. Und von überall hatte er Zählbares nach Hause gebracht. Dass er ausgerechnet in Wien scheitern würde, damit hätte er nie im Leben gerechnet. Zum Ersten war Österreich gegenüber russischen Informationsdienstleistern ja immer schon bekannt großzügig gewesen. Im Moment waren mehr als 250 Russen als Diplomaten oder unterstützendes Personal bei der Botschaft und Internationalen Organisationen in Wien akkreditiert. Und jährlich zwei oder drei von ihnen wurden wegen unerwünschter Tätigkeiten ausgewiesen. Das fiel in dieser Dimension praktisch unter österreichisch-russische Folklore und war, sagen wir, verkraftbar. Denn allein die Botschaft hatte mehr Köche als der Zar Vorkoster. Der jetzige – nicht der alte. Also wollte das schon was heißen. Und auf jeden Dienstwagen kamen sechs Chauffeure. Das hatte jetzt auch nicht unbedingt nur mit ihrer starken Gewerkschaft zu tun.
In Moskau starb die Hoffnung zuerst.
Aber der zweite Grund, aus dem er fix mit einem erfolgreichen Abschluss seiner Wiener Mission gerechnet hätte, war der wesentlich wichtigere gewesen: Die Aufgabe, die er bekommen hatte, war an sich von überschaubarer Schwierigkeit gewesen. Wirklich leicht zu erfüllen. Hätte man gedacht. Allein: Jetzt war sein Versagen ja peinlicherweise leider amtlich. Denn der tschechische Geheimdienst hatte jüngst ein russisches Propagandanetzwerk in der EU aufgedeckt, dessen Ziel es gewesen war, die Unterstützung der EU-Bürger für die Separationsbemühungen der ukrainischen SSR zu untergraben. Vor allem dadurch, dass man lokale Politiker dafür bezahlte, als Putin-Trolle aufzutreten und dieses Geschäft für ihn zu erledigen. So weit, so eigentlich eh jedem klar. Aber jetzt kam der wirklich unangenehme Teil. Es handelte sich um Politiker aus Frankreich, Belgien, Holland, Polen, Ungarn – und Deutschland. Dort war überraschenderweise die AfD beteiligt, das Geld hatten die Herrschaften entweder in bar oder in Kryptowährungen kassiert.
Kein Österreicher auf der Liste. Was für eine Katastrophe!
Nicht, dass Ivan es nicht versucht hätte. Aber egal wie er es angestellt hatte, zu welch ausgeklügelten Kniffen er auch gegriffen hatte – keine Chance. Bei der FPÖ biss er einfach auf Granit.
Einmal hatte er schon fast gedacht, dass einer den Köder schlucken würde. Über einen Mittelsmann war es ihm damals gelungen, den Match-Säbel für die Mensur-Zeremonie bei einer schlagenden Burschenschaft zu sponsern und solcherart das Vertrauen der vaterlandstreuen deutschblütigen Intellektuellen zu erringen. Auch ein erstes klandestines Treffen im Keller eines Vereinslokales von Corona-Opfern, die schrecklich unter von der Schulmedizin nicht erkannten Impfschäden litten, verlief noch vielversprechend. Eine Bezahlung in Kryptowährung lehnte der Mann aber ab, er vertraue diesem Internet nämlich nicht. Außer bei Verschwörungstheorien natürlich, aber bei denen wusste ja eh ein jeder, dass alle stimmten.
Also einigte man sich auf Barzahlung. Und dann – scheiterte die Übergabe! Und ja, im Nachhinein betrachtet war es ein Fehler von ihm gewesen, Natalja zur Geldübergabe zu schicken. Es war im Sommer gewesen und Natalja hatte offene Schuhe gehabt. Und dreckige Zehennägel. Er hätte einfach wissen müssen, dass sie da bei der FPÖ irgendwie heikel waren.
Der zweite anfänglich vielversprechende Versuch bei einem aufstrebenden blauen Jungstar aus dem durchaus schon mittleren Parteimanagement, also dem Level „Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Emoji“, scheiterte schlussendlich am zu geringen Datenvolumen von dessen Diskont-Handyvertrag, ein weiterer mit einer Dame aus dem engeren Kreis um den engsten Kreis an einer vorher nicht bekannt gewesenen Nahrungsmittelunverträglichkeit. Bei Beluga.
Und so war es immer weitergegangen, irgendwas war immer dazwischengekommen. Also war Ivan am Ende all seiner Bemühungen nur geblieben, resignierend nach Moskau zu funken: „Es tut mir leid, es ist mir nicht gelungen, einen FPÖ-Politiker zu kaufen, damit er ein willfähriger Handlanger Russlands wird.“
Nachsatz: „Die machen es alle gratis!“
Angesichts des also völlig ohne sein Zutun eingetretenen Erfolgs durfte Ivan ja wenigstens auf mildernde Umstände hoffen. Aber so, wie er seinen Wladimir kannte: In Moskau starb die Hoffnung zuerst.