Leitartikel

Ein Brandmauerl gegen Herbert Kickl

Bloßes FPÖ-Verhindern ist als Existenzgrundlage und Programm für eine Regierung zu wenig. ÖVP und SPÖ müssten sich mehr einfallen lassen als Machterhalt.

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Betroffene Gesichter bei ÖVP und SPÖ am 29. September. Beide fahren schwere Niederlagen ein und halten nur hauchdünn eine Mehrheit, die extrem Rechten kratzen an der 30-Prozent-Marke. Diese blaue Zeitenwende begab sich bei der Wahl am 29. September 2013. Die Rechtsparteien waren gespalten in FPÖ, BZÖ und Team Stronach – rechnet man die Ergebnisse zusammen, hätten sie Platz 1 erreicht.

Der Kanter-Wahlsieg der FPÖ vom 29. September 2024 ist eine Zäsur mit Anlauf, die FPÖ greift seit einem Jahrzehnt nach der Poleposition. Sie ist das ewige Comeback-Kid der Innenpolitik: Skandale wie Ibiza-Spesen-Korruption bremsen sie nur genauso vorübergehend wie Rechtspopulisten-Konkurrenz (2017 und 2019 Sebastian Kurz). Alle Rezepte gegen den Aufstieg in Blau wurden von der Konkurrenz bereits ausprobiert. Diesmal versuchte es die ÖVP mit harten Law-and-Border-Positionen, vorgetragen in moderaterem Ton – und die SPÖ mit Linkspopulismus. Beides geriet holzschnittartig und missglückte. Die Ära der Großparteien ist endgültig Geschichte, von den drei Mittelparteien die FPÖ mit Abstand die stärkste.

Daraus leitet sich kein fixer Kanzler-Anspruch ab, auch wenn die FPÖ das lautstark einfordert. Regieren bedeutet auch die Kunst, Mehrheiten zu finden. Das gelang im Jahr 1999 der erstplatzierten SPÖ nicht, zur Koalition taten sich der Zweite (FPÖ) und Dritte (ÖVP) zusammen. Eine Regierungsbildung ist eben kein Wettrennen, bei dem Gold-, Silber- und Bronzemedaillen automatisch vergeben werden. Das gilt nicht nur für das Amt des Kanzlers, sondern auch für Regierungspartner: Wahlsiegerin ÖVP schloss 2017 und 2019 die zweitplatzierte Partei aus und bildete mit Nummer 3 (FPÖ 2017) und Nummer 4 (Grüne 2019) eine Koalition. Das kann man, je nach ideologischer Verortung, für inhaltlich logisch oder für komplett verfehlt halten – undemokratisch ist es jedenfalls nicht.

Als Regierungspartei scheiterte die FPÖ regelmäßig krachend, Radikalo-Politik lässt sich leichter hinausschreien als umsetzen. Das wäre noch kein Grund, ihr Regieren zu verwehren. Auch für den Bundespräsidenten nicht. Dessen Rolle sollte nicht überschätzt werden: Er kann mahnende Worte formulieren, Wunschlisten schreiben (Bekenntnis zu Rechtsstaat und EU) und Minister ablehnen (2000 und 2017 bei FPÖ-Kandidaten passiert) – wenn Parteichefs über Programm und Mehrheit verfügen, bleibt ihm aber wenig Handhabe. Schlag nach bei Thomas Klestil.

Alexander Van der Bellen ist bei seinen Bemühungen, Herbert Kickl als Kanzler zu verhindern, darauf angewiesen, dass die ÖVP beim strikten Nein bleibt. Und Kickl weiter für ein „Sicherheitsrisiko“ und nicht kanzlerfit hält. Für diese Festlegung gibt es gravierende Gründe. Aber: Sie muss mit Leben erfüllt werden. Ein bloßes Brandmauerl gegen Kickl zu errichten, wird niemand überzeugen. Weder ÖVP noch SPÖ, die sich quasi zur Zusammenarbeit verdammen. Nicht die NEOS, die forsch auf Reformen drängen und sich mit mauem Irgendwie-Dahinregieren nicht zufriedengeben können. Und schon gar nicht die Wählerschaft, deren Unmut hoch ist – Kickl-Verhindern als Schwerpunkt einer Koalition wird sie wenig elektrisieren.

Ohne überzeugende Projekte droht das Muster alter ÖVP-SPÖ-Koalitionen, die aus quälendem Kleinkrieg, ungustiösem Postenproporz und dreckigen Tauschgeschäften bestanden.

Architekten einer Anti-FPÖ-Brandmauer werden sich mehr einfallen lassen müssen. Zum Beispiel kluge Konzepte, wie Österreich aus der hartnäckigen Wirtschaftsflaute herauskommt. Strategien für moderne Schulen, die nicht ein Fünftel der Kinder als „Lost Generation“ ausspucken. Kluge Pläne, wie Zusammenleben im Einwanderungsland Österreich funktionieren kann. Überzeugende Ideen, wie das Budget-Defizit nicht weiter wächst. Und, und, und.

Klingt anstrengend und kompliziert, ist es auch. Eine Koalition gegen Kickl stellt ohnehin ein Risiko dar, ohne überzeugende Projekte macht sie von vornherein keinen Sinn. Sondern droht, in das Muster „das Schlechteste aus beiden Welten“ zurückzufallen: in alte ÖVP-SPÖ-Koalitionen, die aus quälendem Kleinkrieg, ungustiösem Postenproporz und dreckigen Tauschgeschäften bestanden. Das wäre die Garantie für den nächsten Kantersieg der FPÖ.

Ein erster Schritt zur vertrauensvollen Zusammenarbeit in einer möglichen Koalition wäre, die wechselseitigen Diffamierungen einzustellen. Untergriffe wie „herzlos“, „kommunistisch“ oder „retro“ mögen für Applaus und Schenkelklopfer im jeweils eigenen Fansektor sorgen, als Basis für konstruktives Regieren taugen sie nicht, im Gegenteil. Die wechselseitigen Animositäten zu überwinden, wird nicht leicht, inhaltliche Kompromisse für gemeinsames Regieren zu finden, ist eine noch schwierigere Übung.

Bloßes Kickl-Verhindern ist als Programm zu wenig.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin