Ein göttliches Match
Es geht im Folgenden um einen Machtkampf zweier weißer Männer, der eine 86 Jahre alt, der andere 75, aber ich flehe Sie an, lassen Sie sich davon nicht abschrecken! Das Match der beiden ist einerseits so unterhaltsam und andererseits so bedeutsam, dass sich sogar der liebe Gott bestimmt keine Sekunde davon entgehen lässt. Es sei denn, er existiert nicht, was in diesem Fall wirklich jammerschade wäre. Austragungsort der Schlacht ist der Vatikan, die Namen der Kontrahenten inklusive Funktionsbezeichnung lauten: Papst Franziskus versus Kardinal Raymond Burke.
Es gibt im Universum keine Organisation, in der Duelle dramaturgisch feiner ziseliert ablaufen als in der katholischen Kirche. Im konkreten Fall hat Franziskus entschieden, Kardinal Burke dessen vom Vatikan finanzierte Wohnung und auch dessen Gehalt zu entziehen. Dies soll der Papst laut einem Bericht der katholischen Zeitung „La Nuova Bussola Quotidiana“ bei einem Treffen der Leiter der vatikanischen Dikasterien am 20. November mit folgendem Satz angekündigt haben: „Kardinal Burke ist mein Feind, deshalb nehme ich ihm seine Wohnung und sein Gehalt.“ Eine solche Maßnahme sei im Kirchenrecht gar nicht vorgesehen, merkt „La Nuova Bussola Quotidiana“ entrüstet an, aber gerade das macht den päpstlichen Hieb mit dem Hirtenstab noch wuchtiger: Amen, ich sage euch, ich bin der Pontifex maximus! Davor hat Franziskus bereits Joseph Strickland, Bischof von Tyler (Texas) und ein enger Vertrauter von US-Kardinal Burke, seines Amtes enthoben. Als Strickland nun von der Bestrafung Burkes erfuhr, reagierte er mit irdischer Empörung auf Twitter und wurde dafür vom Heiligen Stuhl mit annähernd göttlicher Indifferenz bedacht. Aber worum geht es eigentlich?
Der Streit dreht sich um nicht weniger als eine Neuausrichtung der Kirche: Öffnet sie die Möglichkeit der Priesterweihe für Frauen, gestattet sie Segensfeiern auch für homosexuelle Paare und freien Zugang zu allen Sakramenten für wiederverheiratete Geschiedene? Kurz: Anerkennt sie die realen Lebenswelten der Menschen unserer Zeit? Franziskus will in dieser Richtung vorangehen und hat dazu die Weltsynode 2021–2024 einberufen. Zum ersten Mal in der Kirchengeschichte haben Frauen bei einer Bischofssynode das Stimmrecht. Das passt Kardinal Burke, der die traditionalistische Fraktion innerhalb der Kirche anführt, gar nicht. Zweimal haben er und seine Mitstreiter bereits sogenannte dubia – lateinisch: Zweifel – verfasst, um die Positionen des Papstes zu hinterfragen. Der entzog sich listig einer Ja/Nein-Antwort und ließ erkennen, dass er Segnungen homosexueller Paare nicht ablehne. In der Frage des Frauenpriestertums blieb er absichtsvoll vage. Burke nahm daraufhin an einer Konferenz mit dem provokanten Titel „Das synodale Babel“ teil – eine Anspielung auf den alttestamentarischen Turmbau zu Babel und die daraus resultierende babylonische Sprachverwirrung. „Die Schafe sind auf den Mut der Hirten angewiesen, die sie vor dem Gift der Verwirrung, des Irrtums und der Spaltung beschützen müssen“, sagte Burke dort spitz in Richtung Papst. Ein schöner Satz, der ihn letztlich die Unterkunft und das Taschengeld kostete. Ist dieser Streit für die Welt außerhalb der vatikanischen Mauern überhaupt von Bedeutung? Allerdings. Es ist zwar richtig, dass die Autorität der katholischen Kirche in unseren Breiten arg gelitten hat und dass sich der Staat und sogar vormals proklerikale Parteien längst von Rom emanzipiert haben. Die Kirche konnte weder das Recht auf Abtreibung verhindern noch die Einführung der Homoehe. Doch der Einfluss der katholischen Lehre auf viele Köpfe und Herzen ist nach wie vor groß.
Der kann durchaus positiv sein. In den Fragen der Immigration und des Islam etwa ist es kirchlichen Einrichtungen – etwa der Caritas – zu verdanken, dass Katholiken die Botschaft der Mitmenschlichkeit anstelle der kaltherzigen Ablehnung hören. Ähnlich hilfreich könnte die Kirche dabei sein, Diskriminierungen in der Gesellschaft abzubauen, für die sie selbst seit 2000 Jahren mitverantwortlich ist. Eine Modernisierung der Kirche beim Thema Sexualität wäre aus einem weiteren Grund wichtig: Die massenhaften Missbrauchsfälle des Klerus und auch die anschließende Vertuschung, die in den vergangenen Jahrzehnten ans Tageslicht gekommen sind, hängen eng mit einer Sexualmoral zusammen, die in dieser Welt keinen Platz mehr hat. Kardinal Burke hat wahrscheinlich Recht mit dem Vorwurf, dass Franziskus ewige Wahrheiten umstößt und dadurch für Verwirrung sorgt. Aber auch ewige Wahrheiten haben, wenngleich dogmatisch und semantisch unerwartet, ein Ablaufdatum. Dass sie dieses längst überschritten haben, hat Franziskus, der 86-Jährige, als 266. Bischof von Rom erkannt. Wird er seinen Plan zu Ende bringen können? Franziskus ist diese Woche erkrankt und musste eine Reise zur Klimakonferenz absagen. Es wäre besser für die Welt, wenn Gott ihn noch eine Zeit lang in seiner Dienstwohnung im Vatikan beließe.