Kommentar

Ich weiß, dass er nichts weiß. Nur er weiß es leider nicht.

In einer ihrer letzten Podcast-Folgen haben Markus Lanz und Richard David Precht wieder einmal bewiesen, dass man nicht jeden Gedanken ungefiltert in die Welt posaunen muss – vor allem, wenn man gar keine Ahnung hat. Ein Plädoyer dafür, Männern die Podcast-Mikros wegzunehmen.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Begonnen hat diese Kolumne eigentlich schon letzte Woche. Für ein Arbeitsmeeting habe ich mir gefühlt jeden Podcast auf der Audioplattform Spotify angehört und recht schnell festgestellt: Frauen wirft man dauernd vor, sie würden zu viel reden – derweil betreibt heutzutage jeder mittelmäßige Politikwissenschaft-Student, der einmal einen Improvisationstheater-Workshop besucht hat, einen Podcast mit seinem besten Freund. Dort reden sie dann über Kryptowährungen, Frauen oder lustige Sachen (auch Frauen) – mindestens einmal die Woche zwei Stunden lang, am besten in einem abgedunkelten Raum voll mit traurigen roten oder blauen LED-Lichtern. In der Hand eine Zigarre, am Kopf eine schlecht sitzende Baseballcap, als Hintergrund-dekoration ausgewaschene Red-Bull-Dosen oder Absolut-Vodka-Flaschen. In so einem Setting sprechen Alpha-Männer zu ihrem Rudel, zu der Welt; so sinnieren sie vor sich hin und ordnen ein. Und solche Ergüsse müssen offensichtlich auch dringend aufgenommen und ins Internet gestellt werden; nicht ein Mann, ein Wort, sondern ein Mann, ein Mikro und eine dreistündige Erklärung, warum der Autofilm „Fast & Furious“ eine emotionale Reise in die männliche Gefühlswelt darstellt.

Beim ZDF-Podcast des Kalenderspruchphilosophen Richard David Precht und des Politik-fit-mit-Philipp-Moderators Markus Lanz ist das vom Prinzip her nicht anders. Na gut, dort heißt es, man diskutiere über „die gesellschaftlich und politisch relevanten Themen unserer Zeit“. Aber die Herangehensweise unterscheidet sich am Ende trotzdem so gut wie kaum von Peter und Lukas, die in ihrer WG-Küche/Wohnzimmer/Peters Schlafzimmer über die Verweichlichung des männlichen Geschlechts durch Pronomen in der Instagram-Biografie und Sojaschnitzel reden müssen. In beiden Fällen wird wenig gewusst und viel behauptet. Beispiel gefällig: In Folge 110 von „Lanz & Precht“, dem Kult-Podcast für alle Männer, die gerne „warte, ich erklär dir das“ sagen, behaupten die beiden, orthodoxe Juden dürften aufgrund ihrer Religion nicht arbeiten, „ein paar Sachen wie Diamanthandel und ein paar Finanzgeschäfte ausgenommen“. Es hagelte Kritik, unter anderem warf ihnen die israelische Botschaft in Deutschland Antisemitismus und Ahnungslosigkeit vor: „Wenn man keine Ahnung vom Judentum hat, sollte man besser nichts darüber sagen, als uralte antisemitische Verschwörungstheorien aufzuwärmen.“ Mittlerweile hat das ZDF die betreffende Passage entfernt, Zusammenhänge wären verkürzt dargestellt worden, heißt es.

Vielleicht ist nun ein guter Zeitpunkt, einmal die grundsätzliche Frage zu stellen: Braucht wirklich jeder Mann, egal ob Experte oder nicht, ein öffentliches Medium, das ihm ermöglicht, jeden noch so unreflektierten Gedanken in die Welt zu rotzen?

Vielleicht ist nun ein guter Zeitpunkt, einmal die grundsätzliche Frage zu stellen: Braucht wirklich jeder Mann, egal ob Experte oder nicht, egal ob lustig oder nicht, egal ob betroffen oder nicht, ein öffentliches Medium, das ihm ermöglicht, jeden noch so unreflektierten Gedanken in die Welt zu rotzen? Oder wäre es an der Zeit, Mikrofonattrappen in die Mojo-Dojo-Casa-Men-Caves, die Social-Media-Höhlen selbstherrlicher Männlichkeit, zu stellen und damit im öffentlichen Diskurs etwas Ruhe einkehren zu lassen, um endlich wieder die Menschen zu hören, die wirklich etwas Wichtiges zu sagen haben? Schließlich können die Lanz-und-Precht-Podcasts dieser Welt, in denen hemmungslos abgemännert wird, doch nicht das Ende sein – wir haben schon das Feuilleton an sie verloren.

Nun kann ich mir die Leserbriefe nach den letzten Absätzen schon vorstellen. Und ja, die Mojo-Dojo-Casa-House-Referenz war billig, aber sind wir ehrlich, besonders kreativ werden die Nachrichten bezüglich verletzter Männer-Egos höchstwahrscheinlich auch nicht – das sind sie beim Thema Feminismus fast nie. Denken Sie also zumindest kurz an den vorherigen Satz, wenn Sie nach diesem Text das Bedürfnis überkommt, wütend ein E-Mail in die Tasten zu klopfen, weil die fremde Frau auf der letzten Seite ein bisschen zu gemein war. Gemein fanden übrigens auch Lanz und Precht die Antisemitismusvorwürfe. Schließlich habe Lanz TV-Reportagen im Nahen Osten gedreht und Precht in seinem letzten Buch eh auch jüdische Philosophen berücksichtigt. Und das macht einen bekanntlich zum Experten in Sachen Judentum und immun gegenüber Stereotypen und strukturelle Diskriminierung. Bitte, nehmt ihnen einfach die Aufnahmegeräte weg.

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.