Leitartikel

Ein reinigendes Gewitter namens Herbert Kickl

Die Orbanisierung Österreichs wurde von der FPÖ selbst abgewendet. Die anderen Parteien geloben nun Konstruktivität und Selbstreflexion. Dass dies nicht nur leere Worte sind, wird zu beweisen sein.

Drucken

Schriftgröße

Nach der letzten Woche ist auch bei der ÖVP der Groschen gefallen: Mit einer FPÖ unter Herbert Kickl und seinen Leuten geht es einfach nicht. Damit klärt sich innerhalb der Konservativen zumindest vorerst ein interner Richtungsstreit. Dieses Momentum bietet die Chance für eine Partei, die seit Jahren nach ihrer Identität sucht. Die nicht weiß, wie weit rechts sie stehen will – und ob ein Ruck in diese Richtung Erfolgsrezept oder Selbstaufgabe ist. Die darum ins Taumeln geraten ist. Diese Orientierungslosigkeit bedeutete den Verlust einer Linie. Und wem das passiert, der hat Probleme, seinen Wählern eine Vision zu vermitteln. Viele fragten sich zurecht: Was und wen wähle ich da eigentlich? Wofür steht die ÖVP nun? Dass die Partei darauf keine klaren Antworten fand, spiegelte sich in deren purzelten Umfragewerten wider.

Es wird spannend, was die nächste Statistik zeigt. Wird es die Bevölkerung der ÖVP übelnehmen, dass sie zwei Mal Teil von scheiternden Regierungsverhandlungen war? Dass es die längsten der Zweiten Republik waren, und sie die Nerven aller massiv beanspruchten? Wird Herbert Kickl mit seinem Spin, dass sein Versagen vor allem den Schwarzen geschuldet war, durchkommen? Oder wird es der geneigte Wähler der ÖVP vielleicht sogar hoch anrechnen, dass sie nach Wochen der Selbstaufgabe schließlich doch noch ihr Rückgrat fand? Wird das Urteil lauten, dass die Volkspartei gewisse rote Linien nicht überschreiten wollte, sich treu blieb und dafür auch einen Machtverlust in Kauf nahm?

Innerhalb der ÖVP ist jedenfalls große Erleichterung spürbar, dass aus dem blau-schwarzen Projekt am Ende nichts wurde. Erst am Verhandlungstisch wurde wohl vielen bewusst, wes Geistes Kind Kickl ist. Dass das Land mit ihm als Kanzler bald an Viktor Orbáns Ungarn erinnern könnte. Dass man innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft bald isoliert sei, würde der Mann umsetzen, was er plante. Dass sich die konstruktiven Kräfte in seiner Partei, die es auch gibt, nicht durchsetzen konnten – sondern die radikalen. Dass Kickl nach dem Führerprinzip fast das alleinige Sagen hatte. An all dem wollten sich die Schwarzen am Ende nicht beteiligen – auch wenn das eine Strafe des Wählers bei Neuwahlen bedeuten könnte.

Worten müssen Taten folgen

Die vergangenen Wochen waren ein reinigendes Gewitter – nicht nur für die ÖVP. Auch die Sozialdemokratie und die Neos ereilte eine gewisse Einsicht. Nämlich, dass man in Runde eins nicht so schnell vom Verhandlungstisch hätte aufstehen sollen. Die Fronten waren aber derart verhärtet, dass Kompromisse schlicht nicht mehr möglich waren. Aber, wenn alle auf stur schalten, kommt am Schluss eben für niemanden etwas heraus.

Hoffen wir, dass der Schockmoment bei den Parlamentsparteien noch ein wenig länger anhält und das tatsächlich zu Selbstreflexion und Selbstfindung führt. Dafür braucht es wohl den ein oder anderen Parteitag, um sich all dessen klar zu werden. Diese sollten nicht wieder in parteiinterne Scharmützel führen, wie das bei Volkspartei und Sozialdemokratie so oft der Fall war. Die großen Parteien sollten ihre Kräfte nützen, um ihre Geschlossenheit wieder herzustellen. Nur so kann man intern und extern überzeugen. Nur so kann eine gehaltvolle Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen angegangen werden, deren gemeinsames Ziel das Staatswohl und nicht Machterhalt ist; mit denen man gemeinsam gegen Populismus und eine Spaltung der Gesellschaft kämpfen möchte.

In den vergangenen Tagen sangen die Parteien ein altes Lied. Es handelt vom Willen, Verantwortung zu übernehmen. Von ausgestreckten Händen. Und von Staatsräson. Klingt alles gut, nur muss man dann auch so handeln. Das bedeutet, über den eigenen Schatten zu springen. Auch der ach so gut funktionierende Parlamentarismus wurde wieder besungen. Tatsächlich wären selbstbewusste Parlamentarier ein Schlüssel zur Lösung – es wäre Aufgabe der Klubs, diese zu fördern, statt sich vorrangig jene auszusuchen, die sich dem Klubzwang beugen.

Dass man es ernst meint, könnte man beweisen. Etwa, indem man sich im Parlament zusammentut und ein Budget beschließt, das den Regeln der EU entspricht. Österreich steht ob des klaffenden Budgetlochs vor einem von Brüssel geführten Defizitverfahren.

Wenn wir zeigen wollen, dass wir noch kein hoffnungsloser Insolvenzfall sind – sondern dass wir es zumindest noch hinbekommen, uns in Eigenverwaltung zu sanieren, wäre das ein erster Schritt, das verlorene Vertrauen in die Politik zurückzuerobern.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.