Kommentar

Ein unglückliches Bild: Der Kurz-Richter, Peter Pilz und ein Amtsgeheimnis

Vier Tage nach dem Urteil gegen Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz wird öffentlich, dass es eine Disziplinarstrafe gegen Richter Michael Radasztics aus dessen Zeit als Staatsanwalt gibt. Der Vorwurf war an sich bekannt. Offenlegen hätte man es trotzdem sollen.

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So, wie das gelaufen ist, ist die Aufregung natürlich maximal: Gerade einmal vier Tage ist der – nicht rechtskräftige – Schuldspruch gegen Ex-ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss alt (Kurz hat Rechtsmittel angekündigt). Da wird bekannt, dass auch Richter Michael Radasztics selbst vor nicht allzu langer Zeit eine Verurteilung hinnehmen musste. Keine strafrechtliche Verurteilung wohlgemerkt, sondern eine in einem Disziplinarverfahren, das auf jene Zeit zurückgeht, als Radasztics noch Staatsanwalt war. Eine der beiden festgestellten Dienstpflichtverletzungen wirft jedoch besonders heikle Fragen auf – und ist Wasser auf die Mühlen jener, die das Kurz-Urteil kritisieren. Radasztics hat nämlich einst ausgerechnet Peter Pilz ein geheime Information mitgeteilt. Doch lässt sich daraus tatsächlich ableiten, dass Radasztics politisch voreingenommen ist?

Eines vorneweg: Der Vorwurf der Informationsweitergabe an Pilz im Dezember 2018 ist seit Langem bekannt. Kurz-Anwalt Otto Dietrich beantragte genau deshalb auch gleich am ersten Verhandlungstag im Kurz-Prozess im vergangenen Oktober die Abberufung des Richters, da es zumindest den Anschein einer Befangenheit und Gründe für die Gefahr einer Voreingenommenheit gäbe – profil berichtete.

Die Sache Pilz

„Pilz ist ein Gegner von Kurz“, führte Dietrich damals aus. Die Kontakte von Radasztics zu Pilz würden „schon lange zurück“ reichen. Der Richter selbst wies eine Befangenheit zurück. Er bestritt ein freundschaftliches Verhältnis zum früheren Nationalratsabgeordneten. Und selbst wenn es eine freundschaftliche Beziehung geben würde, stelle diese keinen Ausschließungsgrund dar, erklärte Radasztics: „Jeder Richter, so er nicht Einsiedler oder Eremit ist, hat Beziehungen zu Personen. Jeder Verwandte oder Freund hat Meinungen zu so einem medial transportierten Verfahren. Diese Meinungen interessieren mich nicht.“

Ob diese Einschätzung rechtlich zutrifft oder nicht, sei vorerst dahingestellt. Es ist davon auszugehen, dass die Kurz-Verteidigung den Befangenheitsantrag schon damals mit Blick darauf gestellt hat, im Fall einer Verurteilung ein Argument für ein Rechtsmittel in der Hand zu haben. Man wird also in geraumer Zeit wissen, was das Oberlandesgericht Wien dazu sagt.

Aus einem gewissen Alltagsverständnis heraus scheint die Begründung von Radasztics jedenfalls nicht ganz unschlüssig: Man wird in einem Verfahren gegen prominente Angeklagte keinen Richter finden, der in seinem Bekanntenkreis noch nie eine Meinung über den Fall gehört hat oder noch nie einen kritischen Zeitungsartikel dazu gelesen hat. Wäre das allein ausreichend für eine Befangenheit, wären Gerichtsverfahren wie das gegen Kurz praktisch undurchführbar.

Fehlende Transparenz

Entscheidend ist letztlich , ob der Kurz-Prozess durch eine allfällige Voreingenommenheit des Richters beeinflusst wurde. profil war an allen zwölf Verhandlungstagen jede Minute im Gerichtssaal. Aus Sicht eines Prozessbeobachters wäre nicht erkennbar gewesen, dass Radasztics Kurz bei der Prozessführung benachteiligt hätte. Eher im Gegenteil: Der Richter ließ auch den einen oder anderen unüblichen Wunsch der Verteidigung zu. Ob jeder getroffene Zwischen-Beschluss rechtlich Bestand hat, wird die zweite Instanz klären. Das gilt naturgemäß auch für das Urteil – acht Monate bedingte Haft für Sebastian Kurz. Wobei Radasztics jedenfalls im Rahmen einer sehr ausführlichen mündlichen Urteilsbegründung in höchstem Maße transparent gemacht hat, aufgrund welcher Abwägungen er zum Schuldspruch in einem Anklagepunkt und zu den Freisprüchen in zwei anderen Anklagepunkten gelangt ist. Damit machte er das Urteil von Beginn an zugänglich für eine fundierte inhaltliche Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit – und für allfällige Kritik.

Derselbe transparente Zugang wäre jedoch auch in Bezug auf das Pilz-Thema notwendig gewesen. Der Vorwurf an sich war zwar bekannt – auch weitere Vorwürfe in Bezug auf die Führung des Eurofighter-Ermittlungsverfahrens. Dass es bereits im Mai 2023 eine disziplinarrechtliche Verurteilung durch das Oberlandesgericht Graz dazu gegeben hat, ist jedoch eine wichtige Information für die Gesamteinordnung.

Schatten über dem Kurz-Urteil

Auch wenn dieses Urteil zum Zeitpunkt des Befangenheitsantrags noch nicht rechtskräftig war, wäre es jedenfalls ratsam gewesen, die Existenz des Disziplinarverfahrens offenzulegen. Und spätestens als sich eine Rechtskraft abzeichnete, hätte es – im Sinne der Transparenz – im Kurz-Prozess thematisiert werden sollen. Dies schon alleine um zu vermeiden, was nun passiert ist: ein Bekanntwerden über einen Medienbericht (im konkreten Fall im „Kurier“) und damit das Gefühl, dass hier nicht ganz mit offenen Karten gespielt wurde.

Dass der Disziplinarentscheid erst nach dem Kurz-Urteil Eingang ins öffentlich einsehbare Rechtsinformationssystem des Bundes gefunden hat, mag ein Zufall sein, einen schlanken Fuß macht es in der Außenwirkung allerdings nicht. Es wird vielen schwerfallen zu glauben, dass das ohne Absicht passiert ist. Die Justiz, die ohnehin politischen Angriffen ausgesetzt ist, hat sich damit insgesamt keinen Gefallen getan. Letztlich wirft der Vorgang einen Schatten auf das Kurz-Urteil, der in dieser Form nicht notwendig gewesen wäre.

Was im Disziplinarurteil steht – und was nicht

Das Disziplinarurteil liefert nämlich bei genauer Betrachtung keinen letztgültigen Beweis für eine langjährige enge Freundschaft zwischen Radasztics und Pilz. Es geht um einen einzelnen Fall einer Informationsweitergabe: Radasztics war Ende 2018 bei der Staatsanwaltschaft Wien Chef-Ermittler für die Eurofighter-Causa, Pilz damals im Eurofighter-Untersuchungsausschuss hoch aktiv. Darüber hinaus hat Pilz in der Eurofighter-Causa wiederholt Informationen aufgetrieben und der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt.

Wie aus dem Disziplinarentscheid hervorgeht, hatte Radasztics Ende 2018 Pilz als Zeugen zu einer Einvernahme geladen. Diese fand auch statt. Danach führten Radasztics und Pilz noch ein Gespräch, wobei eine zweite mit der Eurofighter-Causa befasste Staatsanwältin ab einem bestimmten Punkt dazukam. Pilz erzählte Radasztics, dass der U-Ausschuss einen Beschluss gefasst habe, weitere Akten aus dem Justizministerium anliefern zu lassen. Radasztics sagte ihm daraufhin, dass es eine Weisung im Ministerium gebe, bestimmte Aktenteile aus Gründen der nationalen Sicherheit an das Verteidigungsministerium zurückzugeben.

„Keine Interessen verletzt“

Das hätte Radasztics aus Sicht des Oberlandesgerichts Graz nicht tun dürfen. Das Gericht hielt allerdings auch fest, dass diese Informationen „weder geeignet waren, ein öffentliches oder berechtigtes privates Interesse zu verletzen (…), noch war deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten“. Die Disziplinarbehörde ortet eine „Sorgfaltswidrigkeit“. Dem Urteil ist aber auch zu entnehmen, dass Pilz von der Weisung später ohnehin im Rahmen des U-Ausschusses erfahren hätte.

Strafrechtliche Ermittlungen eingestellt

Strafrechtliche Ermittlungen gegen Radasztics in Zusammenhang mit der Führung des Eurofighter-Ermittlungsverfahrens wurden eingestellt. Das betrifft auch den zweiten Punkt des Disziplinarurteils: Radasztics hatte es verabsäumt, Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser darüber zu informieren, dass auch gegen ihn im Eurofighter-Konnex ein Ermittlungsschritt gesetzt worden war.

Zusammengefasst: Es gibt genau einen einzigen erwiesenen Fall einer – disziplinar-, aber nicht strafrechtlich verbotenen – Informationsweitergabe von Radasztics an Pilz. Der Vorfall fand nicht etwa klandestin an einer Autobahnraststätte oder dergleichen statt, sondern in Anwesenheit einer weiteren Staatsanwältin im Nachklang eines offiziellen Termins. Es ging nicht um Ermittlungsergebnisse, sondern um Verwaltungsinterna. Und Pilz hätte die Information ohnehin bekommen – allerdings später und nicht zeitlich vor anderen Abgeordneten im Eurofighter-U-Ausschuss.

Eine enge, langjährige Freundschaft zwischen Pilz und Radasztics lässt sich aus dem Disziplinarurteil nicht herauslesen. Dienstrechtlich unsauberes Vorgehen bis zu einem bestimmten Grad schon. Jedenfalls wäre es wichtig gewesen, dieses Urteil bereits zu Beginn des Kurz-Prozesses zu kennen. Nur durch Transparenz ist eine fundierte Einordnung möglich – sei es in die eine Richtung oder in die andere.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.