Elfriede Hammerl Adoptivtochter
Woody Allen war vor Kurzem in Wien. Mit Ehefrau Soon-Yi. Die Zeitungen schrieben: Woody Allen mit Ehefrau Soon-Yi, der Adoptivtochter seiner Ex-Frau Mia Farrow. So lautet die Sprachregelung: Woody Allen hat eine junge Frau, die hat eine Adoptivmutter, die war einmal Woody Allens Frau. Es klingt, als habe Mia Farrows Leben mit Soon-Yi auf einem anderen Planeten stattgefunden als Mia Farrows Leben mit Woody Allen.
Man darf sich das so ausmalen: Woody Allen trifft ein junges Mädchen, findet es sexy, beginnt ein Verhältnis mit ihr, und dann stellt sich, na so was aber auch, heraus, dass sie zufällig die Adoptivtochter seiner Frau ist! Überraschung!
War es so? Keineswegs. Unabhängig davon, wer welche Papiere für wen unterschrieben hat, haben Woody Allen und Mia Farrow einstens als glückliche Familie mit einem Schüppel Adoptivkinder in den Medien posiert. Eines dieser Kinder war Soon-Yi, von der heute so getan wird, als habe Woody Allen rein gar nichts mit ihr zu tun gehabt, ehe er sie entdeckte und erweckte und was weiß ich noch alles, die Klischees, aus denen man in so einem Fall dem Fall der sexuellen Initiation eines jungen Mädchens durch einen älteren Mann wählen kann, sind ja zahlreich.
Rein formal wurde das koreanische Straßenkind Soon-Yi achtjährig tatsächlich nicht von Allen adoptiert, sondern von Mia Farrow und ihrem damaligen Ehemann André Previn. Aber bereits zwei Jahre später war Allen der Mann an Farrows Seite und damit auch der Stiefvater Soon-Yis. Soziale Vaterschaft heißt so was. Woody Allen mag in dieser Rolle seine Defizite gehabt haben (eigennützig, unzuverlässig und unsensibel sei er als Elternteil gewesen, urteilte der Richter in dem Sorgerechtsprozess, den Allen um seinen leiblichen Sohn und zwei weitere Adoptivkinder führte), aber auch Vätern mit Mängeln wird von ihren (Stief-)Kindern zunächst Vertrauen entgegengebracht. Das liegt in der Natur der Kinder, sofern sie psychisch einigermaßen intakt und nicht bereits auf Misstrauen, Furcht und neurotische Distanz programmiert sind.
Woody Allen hat dieses Vertrauen seiner (Stief-)Kinder seinerzeit mit Füßen getreten, als er eine moralisch gesehen inzestuöse Beziehung mit einem oder besser: einer von ihnen begann. Sein leiblicher Sohn Satchel drückte das Presseberichten zufolge damals so aus: Man schläft nicht mit der Schwester seines Sohnes. Das heißt, Allen hat nicht nur Soon-Yis Zutrauen missbraucht, indem er aus der Rolle ihres Vaters in die des Liebhabers wechselte (und niemand soll bitte sagen, dass eine Halbwüchsige sich autonom dafür entscheidet, vom Mann ihrer Mutter in die Sexualität eingeführt zu werden), er hat mit diesem Rollenwechsel auch ihre (Adoptiv-)Geschwister verstört, deren familiäre Wahrnehmung plötzlich nicht mehr stimmte.
Schnee von gestern? Ja, der seinerzeitige Skandal der Allen schon damals mindestens so viel Applaus wie Kritik einbrachte ist lange her. Allen und Soon-Yi sind inzwischen seit mehreren Jahren verheiratet und haben ihrerseits zwei Kinder adoptiert. Geblieben ist jedoch der Hinweis: die Adoptivtochter seiner Ex.
Was steckt dahinter? Neid der Hinweisenden, weil es Woody Allen gelungen ist, die alternde Mutter rechtzeitig gegen die Tochter auszutauschen? Nie nachlassende Häme gegen Mia Farrow, deren plakatives Regenbogen-Familienkonzept durch Allen so grandios zum Scheitern gebracht wurde? Oder geht es nur darum, Allens Rechtschaffenheit zu betonen, die sich eben daraus ableitet, dass er juristisch gesehen nie der Adoptivvater seiner Ehefrau war?
Wie gesagt: interessante Sprachregelung, weil sie wieder einmal zeigt, welche Rolle gesellschaftliches Ansehen spielt, wenn es um die Bewertung von grenzüberschreitendem (Sexual-)Verhalten geht. Woody Allen: reingewaschen von jeglichen Vorwürfen. Roman Polanski: nach allgemeinem Dafürhalten ein Opfer der kunstunverständigen Schweizer Justiz, die nicht begreift, dass man einen großen Regisseur nicht wegen etwas so Nebensächlichem wie der Vergewaltigung einer 13-Jährigen (noch dazu vor 30 Jahren!) festnehmen kann.
Sexuelle Verfügungsgewalt über Abhängige gehört seit Langem zu den Boni, die einen gehobenen Status auszeichnen, die Varianten reichen vom ius primae noctis der feudalen Grundherren bis zur Besetzungscouch von Theaterdirektoren. Diese Verfügungsgewalt ist gesellschaftlich akzeptiert, teils stillschweigend, teils explizit, man denke beispielsweise an die lange Liste renommierter Persönlichkeiten, die voll tiefer Empörung gegen Polanskis Verhaftung protestierten.
Auch die Fälle von sexueller Misshandlung durch katholische Geistliche haben, ebenso wie ihre jahrzehntelange Vertuschung, mit Machtmissbrauch und einem anmaßenden Selbstverständnis zu tun. Darüber wird endlich nicht mehr geschwiegen. Gut so. Dass diese Verfehlungen endlich öffentlich angeklagt werden, hängt allerdings nicht zuletzt mit dem Bedeutungsverlust der Institution Kirche in eben jenen Ländern zusammen, in denen das Schweigen aufbricht. Das gesellschaftliche Unrechtsbewusstsein bleibt dennoch reformbedürftig. Der vorauseilende Eifer, mit dem einschlägige Vergehen ausreichend bewunderter Promifiguren mit mehr oder weniger fadenscheinigen Entschuldigungen retuschiert werden, lässt für potenzielle Opfer solcher Männer nach wie vor Schlimmes befürchten.