Elfriede Hammerl: An die Kandare

Eine behindertengerechte Gesellschaft entsteht nicht aus dem Zwang, schwerst geschädigte Kinder zu gebären.

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Ist die Frau ein eigenständiger Mensch mit einem Anspruch auf ein eigenes, selbstbestimmtes Leben, oder – ab dem Moment, in dem sie schwanger wird – nur noch Gefäß für das neue, heranwachsende Geschöpf, mit der Verpflichtung, es auszutragen, zur Welt zu bringen, großzuziehen und ein Leben lang verantwortlich zu begleiten? Das ist die Kernfrage bei der Abtreibungsdebatte, die wir offenbar immer wieder von Neuem führen müssen, weil bestimmte Gruppierungen die bedingungslose Fortpflanzung als göttlichen Auftrag oder als Mittel zur territorialen Herrschaft sehen und es nicht ertragen, dass ihre Sichtweise nicht die einzig zulässige sein soll.

Zurzeit – profil berichtete darüber – wird das Match gerade über die Bande des Spätabbruchs gespielt. Eine Bürgerinitiative möchte ihn generell verbieten lassen. Außerdem fordert sie eine verpflichtende Bedenkzeit vor Abbrüchen innerhalb der Frist, in der der Eingriff straffrei ist. Diese Initiative wird – und das ist das Alarmierende – von türkisen und blauen Regierungsmitgliedern unterstützt. Ein breites Gegenbündnis aus Frauenvereinigungen, der SPÖ, den Grünen und der Liste Jetzt fürchtet deswegen um die Fristenregelung, die seit 1975 dafür sorgt, dass Frauen in Österreich Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr mit schweren gesundheitlichen Schäden oder gar mit dem Leben bezahlen müssen.

Denn wie strikt Frauen auch dazu verurteilt werden, um jeden Preis gebären zu sollen, es gibt immer welche, deren Verzweiflung über eine unerwünschte Schwangerschaft die Furcht vor einem illegalen (und entsprechend gefährlichen) Abbruch übersteigt. Das geht in manche Köpfe nicht hinein, aber die Frauen selber sehen sich mitnichten als willenlose Gefäße, und es ist ihnen nur zu klar, dass Mutterschaft eine lebenslange Verpflichtung bedeutet, die unfreiwillig eingegangen zur kaum erträglichen Bürde werden kann.

Die Ignoranz, mit der selbst ernannte Lebensschützer und -schützerinnen sich über das (künftige) Leben der Schwangeren hinwegsetzen, als sei es vollkommen bedeutungslos im Hinblick auf die Leibesfrucht, hat schon etwas Atemberaubendes.

Es wird mit fiesen Mitteln gearbeitet. Die Tatsache, dass bei besonders schweren Beeinträchtigungen des Fötus ein Abbruch – nach strenger Prüfung der Situation und unter strengen Auflagen – noch nach der 12-Wochen-Frist erlaubt ist, wird als Symptom für eine behindertenfeindliche Gesellschaft hingestellt, und es wird so getan, als fänden zahlreiche Spätabbrüche statt, weil bequeme Mütter keine unbequemen Babys wollten. Zu wie vielen Spätabbrüchen es tatsächlich kommt, ist statistisch nicht erfasst, woraus die Gegner dieser sogenannten eugenischen Indikation auf eine möglicherweise große Dunkelziffer schließen. Man könnte aber auch davon ausgehen, dass schwere Fehlbildungen von Föten eher eine seltene Ausnahme sind, was dann logischerweise auch auf späte Abbrüche zutreffen würde.

In Deutschland wurde die eugenische Indikation abgeschafft, dort können späte Abbrüche nur noch aus medizinischen Gründen durchgeführt werden, zu denen auch die Gefährdung der psychischen Gesundheit der Schwangeren gehört. Was nach Rücksichtnahme auf die Schwangere aussieht, erhöht jedoch den Druck auf sie noch einmal, denn nun steht nicht mehr die Beeinträchtigung des Fötus zur Debatte, sondern nur noch ihre „psychische Gesundheit“, sprich ihre Bereitschaft, einen schwer geschädigten Fötus auszutragen und ein schwer geschädigtes Kind zur Welt zu bringen, um es so lange zu pflegen, wie es am Leben bleibt. Auch damit wäre, wenn Österreich dem deutschen Beispiel folgte, der Diffamierung von Frauen Tür und Tür geöffnet, die diese Bereitschaft nicht zeigen.

Darum geht es: Frauen die Selbstbestimmung abzusprechen.

Bleibt die Frage: Warum? Was treibt die BetreiberInnen der Bürgerintiative #fairändern an, ihren Kampf gegen die Fristenlösung auf dem Umweg über die Abschaffung des Spätabbruchs (egal ob aus eugenischer oder medizinischer Indikation) zu führen?

Tatsächlich das behauptete Ideal einer behindertenfreundlichen Gesellschaft – oder doch nur der Wunsch, die Weiber wieder zum Kuschen zu bringen?

Eine behindertengerechte Gesellschaft entsteht nicht aus dem Zwang, Frauen schwerst geschädigte, unter qualvollen Schmerzen leidende Kinder zur Welt bringen zu lassen. Sie braucht Rahmenbedingungen, und wer sie will, muss diese Rahmenbedingungen schaffen. Davon ist nicht viel zu sehen. Stattdessen die Drohung, dass jetzt aber endlich Schluss sein muss mit der Möglichkeit, als Frau einem unglücklichen Schicksal auszuweichen, statt es duldsam hinzunehmen.

Denn darum geht es: Frauen die Selbstbestimmung abzusprechen. Die Forderung nach einer verpflichtenden Bedenkzeit im Rahmen der Fristenregelung suggeriert, dass sie zum Nachdenken erst gezwungen werden müssen. Noch verwegener die Vorstellung, eine Schwangere, die sich schon auf ihr Baby freut, würde sich ohne Notwendigkeit zu einem Spätabbruch entschließen.

Die Intention ist klar: Frauen an die (Fruchtbarkeits-)Kandare! Wir sollten uns bereithalten, dagegen Sturm zu laufen.