Elfriede Hammerl: "Wir können uns das nicht mehr leisten!“
Eines Abends passierte Cornelia dieser blöde Fehler. Die anderen redeten über den Yosemite-Nationalpark und darüber, ob man nicht einmal die Route Number One von L.A. hinauf nach San Francisco fahren sollte, und Cornelia erwiderte, befragt, ob sie und Robert mitkämen: „Nein, leider nix für uns.“
„Ach, echt“, staunte Trixi, die zuvor über die von Frank Lloyd Wright erbauten Häuser in Kalifornien doziert hatte. „Architektur interessiert euch nicht?“
Nachher dachte Cornelia, es wäre vielleicht besser gewesen, wenn sie sich als Architekturmuffel geoutet hätten, aber erstens trifft das nicht zu, und zweitens hatte sie keine Lust, sich von Trixi als Kulturbanausin abstempeln zu lassen. Deshalb sagte sie spontan (ja, ja, unüberlegt, wie Robert ihr zu Recht vorwirft): „Doch. Aber wir können uns das nicht mehr leisten.“
Dicke Stille. Mit Händen zu greifen. Danach redeten alle klingelnd los, hastig, um die Peinlichkeit zu überspielen. Susanne holte sogar ihre Großmutter aus der erzählerischen Versenkung, eine Frau, die mit ihr, als sie ein Kind war, Entdeckungsspaziergänge durch die Wiener Innenstadt unternommen habe. Moral: Sieh, das Gute liegt so nah.
Aber die Stimmung war im Arsch. „Doch, das muss man so drastisch sagen“, behauptet Robert.
Seitdem merkliche Distanz. Irgendwie.
Na ja, sie werden schon noch eingeladen, wäre ja auch lächerlich, wenn nicht. Aber die anderen haben mittlerweile eine Art Insiderton entwickelt, der Cornelia und Robert nicht mit einschließt. Sie reden zum Beispiel über Madrid, von wo zwei gerade zurückkommen und wohin zwei andere demnächst fliegen, und dabei überbieten sie einander mit Infos und Geheimtipps – so, dass man merkt, hier sind echte Auskenner am Wort. Cornelia und Robert waren auch schon in Madrid, aber das ist lange her, ihre Geheimtipps sind sicher überholt, und was sollten sie mit neuen wohl anfangen? Weshalb sie rasch merken, dass ihre Beteiligung am Madrid-Austausch nicht vorgesehen ist.
So Kleinigkeiten halt. Daran spüren sie, dass sie Außenseiter geworden sind, sagen Robert und Cornelia.
Neulich kam die Rede auf die Monet-Ausstellung, und wieder haben alle über Robert und Cornelia drübergeprochen, als sei von ihnen keine kulturelle Neugier mehr zu erwarten, nicht einmal, wenn sie daheim befriedigt werden kann. Andererseits, ihre Konzertabos – in der Heimatstadt – haben sie ja tatsächlich aufgegeben, sagt Robert, so gesehen liegen die anderen also nicht ganz falsch.
In Wirklichkeit konnten er und Cornelia schon seit langem nicht mithalten mit den meisten der anderen, das war kein Geheimnis, aber nie hat es jemand zum Thema gemacht. Warum musste Cornelia auf einmal ungeniert das Armutschkerl raushängen lassen?
Nicht mithalten zu können, ist eines; es laut zu sagen ein anderes. Knapp bei Kasse zu sein, ist keine Schande, aber man spricht nicht darüber. Noble Armut ist diskret. Verschämt. Manierlich.
Bedeutet kein Geld zu haben, dass man negativ denkt?
Wobei das Wort Armut ja wohl total unangemessen ist in Bezug auf Cornelia und Robert. Wenn sie wirklich arm wären, würde man bestimmt nicht zögern, ihnen zu helfen. Aber so? Was stellen sie sich vor? Dass man zusammenlegt für ihre Reisekosten in die USA?
Hätte Cornelia seither den Mund gehalten, wäre die ganze Sache vielleicht längst vergessen. Über einen einmaligen Ausrutscher kann man hinwegsehen. Aber nein, sie tut munter weiter (zu Roberts Missfallen, das muss man gerechtigkeitshalber festhalten). Es scheint ihr inzwischen geradezu Spaß zu machen, das Konsumverhalten der anderen mit ihrem eigenen zu vergleichen. Toller Mantel, von wo? Ach so, hab vergessen, dass du ja bei Max Mara kaufst. Was? Nein, vergiss es, ist mir auch reduziert zu teuer. Ich bin mehr der H&M-Typ. Falsches Lachen.
Sie lacht“, sagt Silvia, „aber du kannst den blanken Neid dahinter spüren. Und dann, H&M-Typ, von wegen. Noch nie hab ich Cornelia bei H&M gesehen, das sagt sie nur mir zufleiß. Ich bin noch so blöd und komme ihr entgegen und fasle was von Sale, aber nein, das reicht ihr nicht, sie muss mich als Luxuskuh hinstellen.“
„Wir können doch nix dafür, dass sie in Teilzeit gedrängt worden ist und ihm niemand mehr was abkauft“, sagt Christian. „Aber es hört sich an, als wären wir schuld.“
Und Christiane sagt: „Ich habe keinen Bock auf Gejammer, man muss positiv denken.“
Doch bedeutet kein Geld zu haben, dass man negativ denkt, oder heißt es einfach nur, dass kein Geld da ist? Und ist es gleich Jammern, wenn Cornelia nicht so tut, als wäre doch Geld da?
Knifflige Fragen, niemand mag sie beantworten. Stattdessen verweist Trixi auf unseren Bundeskanzler, der Kürzungen im Sozialbereich für eine Maßnahme hält, die Menschen „stark macht“, statt sie „in Abhängigkeit zu halten“. Cornelia und Robert sollten sich das, sagt sie, hinter die Ohren schreiben und ihren Geldmangel als Anstoß zum Starkwerden sehen. Alte Weisheit: Zwinge einen Bloßfüßigen, über Glasscherben zu gehen, und es wachsen ihm Flügel. Falls nicht, hat er eine tolle Chance nicht ergriffen.
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