Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Aufgeschrien

Aufgeschrien

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Also, noch einmal, kurz, zur Erinnerung: FDP-Politiker baggert „Stern“-Journalistin mit ranzigem Altherrenschmäh an. Ein Jahr später kriegt die Journalistin den Auftrag, den Politiker zu porträtieren, und spart nicht aus, wie er versucht hat, ihr näher zu kommen. Das ruft ein gewaltiges Medienecho hervor und generiert eine Flut von Tweets, in denen Frauen unter dem Sammelbegriff Aufschrei ihre persönlichen Erfahrungen mit sexistischer Abwertung und sexueller Belästigung berichten, was erneut mediale Erregungen und eine stürmische öffentliche Debatte auslöst. Dabei tauchen immer wieder Argumente auf, die ihrerseits zum Aufschreien sind.
Zum Beispiel dieses: Frauen sollten sich lieber nicht zu Opfern stilisieren, das schade ihnen nur. Wie bitte? Über Missstände zu reden schadet? Wem? Denen, die darunter leiden, oder doch hoffentlich denen, die sie zu verantworten haben?

Oder dieses: Frauen sollten sich gegen Übergriffe halt wehren! Toller Rat. Wären wir nie draufgekommen. Aber warum diskutieren wir eigentlich über die (mangelnde) Wehrhaftigkeit von Frauen statt darüber, dass ihre Abwehrbereitschaft unnötig sein sollte?

Oder dieses: Versuchte Übergriffe seien nur verwerflich, wenn sozial Unterlegene belästigt würden. Eine Journalistin zum Beispiel sei doch nicht hilflos! Eh nicht. Aber welches gesellschaftliche Klima wird geschaffen, wenn sogar eine, die sich zur Wehr setzen kann, den Mund halten soll? Nützt das den vergleichsweise Hilflosen? Glaubt irgendwer, dass die Brüderles nur den Himmelreichs gegenüber anlassig sind, während sie sich bei, sagen wir, Serviererinnen wegen fehlender Waffengleichheit fair zurückhalten?

Kritisiert wurde auch, dass Himmelreich Brüderles Entgleisung reichlich spät eingefallen sei. Tatsächlich hat sie sie offenkundig schlicht nicht vergessen. Und aus gegebenem Anlass öffentlich gemacht. Dass dazwischen Zeit vergangen ist – na und? Üblicherweise müssen Personen, die in der Öffentlichkeit stehen (wollen), damit rechnen, dass ihnen auch Vergehen vorgehalten werden, die zehn oder zwanzig Jahre zurückliegen. Ausgerechnet sexistische Verfehlungen sollen blitzschnell verjähren?
Im Übrigen kommt es öfters vor, dass Frauen sich erst später zu Wort melden, wenn sie sexuell belästigt wurden. Sie wollen vielleicht verdrängen und kommen irgendwann drauf, dass ihnen das nicht geglückt ist. Oder sie befürchten, dass ihnen nicht geglaubt wird, und trauen sich erst, wenn andere sich auch trauen. Oder sie stellen fest, dass einer, der sie belästigt hat, mit einem öffentlichen Heiligenschein reüssiert, und es platzt ihnen der Kragen. Die Regel: Wer nicht sofort schreit, darf nie mehr was sagen, gilt jedenfalls nicht. Auch für den sofortigen Aufschrei braucht es gewisse Voraussetzungen.

Natürlich sind nicht alle Männer Sexisten. Behauptet auch niemand. Aber die Hoffnung, Frauenverachtung wäre – zumindest bei uns – im 21. Jahrhundert vollständig überwunden, die hat sich nicht erfüllt. Im Internet finden sich zahllose Postings von erschreckender Aggressivität, die all das bestätigen, was doch angeblich nur eine Erfindung böswilliger Emanzen sein soll. Die Herrenreiterattitüde, die dabei zutage tritt, macht fassungslos. Die Frauenministerin, heißt es da zum Beispiel immer wieder, sei bloß sauer, weil ihr keiner auf den Hintern greife. Und mir richtet einer lässig aus, als Single wäre er, obwohl ein halbes Jahrhundert jünger, bereit, sich von mir anbraten zu lassen, denn: Jede Alternative ist der Handarbeit vorzuziehen. Welchem Über­legenheitswahn gibt sich so einer hin? Und, ich stelle die Frage, weil wir uns doch wehren sollen, wohinein tritt man so einen am besten?

Er würde, schreibt Peter Michael Lingens, gerne mit mir darüber diskutieren, wie weit das Verhalten eines Politikers Frauen gegenüber unser Wahlverhalten beeinflussen solle, solange es nicht strafbar sei. Interessante Frage. Theoretisch ist sie leicht beantwortet. Warum sollte ich einen Politiker wählen, von dem ich annehmen muss, dass er weibliche Menschen nicht ausreichend respektiert? Mangelnder Respekt äußert sich nicht nur in strafbaren Handlungen. Daher wird mich jeder Mangel an Wertschätzung Frauen gegenüber mit gutem Grund zweifeln lassen, ob dieser Politiker meine Interessen vertreten kann. Praktisch haben wir freilich oft das Problem, dass es an besseren Alternativen fehlt. Als Amerikanerin beispielsweise hätte ich Clinton, den zwanghaften Weiberhelden und schamlosen Heuchler, mit großem Missfallen betrachtet – und trotzdem alles getan, um Bush zu verhindern.

Ähnliche Dilemmata außerhalb der Politik. Wollte ich mich im Bedarfsfall einem Chirurgen anvertrauen, der als begnadeter Operateur, aber auch als Frauenverächter gilt? Zählt in so einem Fall wirklich nur die eine, ganz bestimmte Qualifikation, oder ist es nicht trotzdem berunruhigend, mich einem Menschen auszuliefern, der mich anscheinend für zweitklassig hält?
Damit wir uns derartige Entscheidungen ersparen, braucht es einen tief greifenden Bewusstseins- und Strukturwandel. Wie sollte er erreicht werden, wenn wir den ganz alltäglichen Sexismus nicht immer wieder thematisieren und diskutieren? Und, ja, auch männerfeindliche ­Rollenklischees stehen zur Debatte.

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