Elfriede Hammerl: Aus Nächstenliebe
Immer wieder stoßen sich Leser (seltener Leserinnen) am Ausdruck Care-Arbeit, der auch in dieser Kolumne öfter vorkommt. Genauer gesagt stoßen sie sich am Wort Arbeit im Zusammenhang mit dem Begriff des Sich-Kümmerns. Weil: Was für eine herzlose Einstellung, das Umsorgen anderer als Arbeit zu sehen! Das macht man – oder vielmehr: frau – doch hoffentlich gern. Das ist einer doch ein Bedürfnis. Wohin kommen wir, wenn wir es als Arbeit ansehen, für unsere Lieben da zu sein?
Zwar sind die Zeiten vorbei, da man selbstverständlich davon ausging, dass Männer am Feierabend ein kühles Bier brauchen, während sich Frauen am besten beim Bügeln entspannen, und deswegen wird auch nicht geleugnet, dass Haushalt, Kinder- und Altenpflege ihre anstrengenden Seiten haben, aber nach wie vor hält sich in den Köpfen die Vorstellung, dass die Liebe zu den Angehörigen und die Liebe der Angehörigen jede Mühsal aufwiegt.
Diese romantische Hoffnung lässt den physischen und psychischen Verschleiß, der doppelt und dreifach belastete Frauen oft zeichnet, fröhlich außer Acht und überträgt sich vom familiären auch auf den professionellen Sektor der Care-Arbeit, die in der Wissenschaft nun einmal so heißt, ob es manchen Patriarchen gefällt oder nicht. Sinnstiftend sei sie, wird stets betont, man bekomme Dankbarkeit dafür.
Weil der ideelle Gewinn aus jeder Art von Fürsorgetätigkeit hoch angesetzt wird, glaubt man, die materielle Entlohnung knapp halten zu können. Das ist einer der Gründe, warum Frauen in einer Reihe sogenannter Frauenberufe – die aus der familiären Versorgungsarbeit hervorgegangen sind – so jämmerlich schlecht verdienen. Man setzt auf ihre Nächstenliebe. So wie es der Mama ein Herzensbedürfnis sein soll, ihre Familie zu umsorgen, so soll es Frauen (und Männern) in Sozialberufen ein Herzensbedürfnis sein, sich um andere zu kümmern und aus der Sinnhaftigkeit ihres Bemühens die Befriedigung zu ziehen, die ihnen bei der Betrachtung ihres Kontostandes versagt bleibt.
35 Wochenstunden Schwerarbeit – immer noch mühselig genug, sollte man meinen.
Sobald die professionell Hegenden und Pflegenden jedoch aufbegehren und öffentlich Unzufriedenheit artikulieren, macht sich Enttäuschung breit. Weil: Dass Manager berechnend sind, gehört zu deren Job Description, aber doch nicht zu der von Reinigungskräften, KrankenpflegerInnen, Heimhilfen, KindergartenpädagogInnen! Von ihnen würde man sich Einsicht und Rücksichtnahme auf das große Ganze erwarten. Woher das Geld nehmen? Ist einfach keins da! Was da ist, sind Pflege- und Betreuungsbedürftige, ist Arbeit, die gemacht werden muss. Aber am Zaster fehlt es. Jedenfalls für diese Sorte ArbeitnehmerInnen. Können sie nicht einfach die Arbeit (über-)nehmen und Ruhe geben? Alles auf der Welt ist doch ein Geben und Nehmen, wie man weiß.
Aktuell fordern Österreichs Pflegekräfte, nicht zum ersten Mal, eine 35-Stunden-Woche bei vollem Gehalt. („Pfleger“, schreiben Zeitungen übrigens, ungeachtet der Tatsache, dass die Mehrzahl der Pflegenden Pflegerinnen sind, denn der Frauenanteil in den Gesundheits- und Sozialberufen liegt bei über 70 Prozent. Wenn’s um Belastung geht, dann denken wir eben an Männer.) 35 Wochenstunden Schwerarbeit – immer noch mühselig genug zu bewältigen, sollte man meinen. Schon jetzt schaffen viele Pflegekräfte ohnehin nur das Stemmen eines Teilzeitjobs, nicht zuletzt wegen der geteilten Schichten. Die schauen so aus, dass eine Heimhilfe beispielsweise von sieben in der Früh bis eins zu Mittag arbeitet und danach noch einmal von fünf bis halb acht. Zwei Schichten, vier Wegzeiten, ein zerstückelter Tag. Und das – bei 25 Wochenstunden – für monatlich knapp 1050 Euro. Wer möchte tauschen?
Also. Alles, was die Pflegenden verlangen, sind drei Stunden weniger wöchentliche Arbeitszeit, ohne dass ihre bescheidenen Einkünfte beschnitten werden. Was sie kriegen, ist ungewiss. Weil, siehe oben: Wer soll das bezahlen?
Die Antwort ist eigentlich einfach. Wir alle werden das früher oder später bezahlen müssen, wenn wir die Pflege- und Betreuungsbedürftigen, die Kranken, die Invaliden und die Alten nicht einfach über Bord kippen wollen wie Ballast. Der medizinische Fortschritt lässt Kranke überleben, die früher jung gestorben wären, und schenkt uns insgesamt einen längeren Lebensabend. Eine schöne Sache an und für sich. Aber das bedeutet auch, dass die Zahl derjenigen wächst, die – in unterschiedlicher Form – Assistenz benötigen. Von wem soll sie kommen? Nein, bitte keine Zahlenflut, aus der hervorgeht, was nicht geht! Im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten: Wir teilen, als Gesellschaft, unsere Gewinne so auf, dass wir uns anständig bezahlte Pflegekräfte leisten können, oder wir – siehe oben.
Aber bitte, wir können auch aufhören, über schnöden Mammon zu verhandeln, wenn es darum gehen soll, anderen Gutes zu tun! Probieren wir’s. Meister, sage ich deshalb zum Chef meiner Autowerkstatt, jetzt im Ernst, wollen Sie wirklich von Arbeit reden, wenn Sie sich um meinen Wagen kümmern? Sie machen das doch gern, und ich bin Ihnen wirklich dankbar. Reicht Ihnen das nicht …?
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