Elfriede Hammerl: Bilder im Kopf

Wurde ein Kind manipuliert, wenn es sich an einen tobenden Vater erinnert?

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Fünf Prozent aller strittigen Scheidungen haben zur Folge, dass der Kontakt der Kinder zu einem Elternteil abbricht. Österreichs Familienrichterinnen und -richter wollen das ändern und basteln deshalb an einer Regelung, die „Erinnerungskontakte“ herstellen soll. Dabei sollen die Kinder und der sonst abwesende Elternteil unter der Leitung einer Psychologin oder eines Psychologen zusammentreffen. Sie können, müssen aber nicht miteinander reden. Auf jeden Fall redet der Psychologe oder die Psychologin zuerst mit dem Kind, dann mit dem Elternteil, und durchs Zuhören sollen Kinder und Elternteil mehr übereinander erfahren. Damit soll, so heißt es, verhindert werden, dass das Kind ein verzerrtes Bild des abwesenden Elternteils bekommt oder behält, weil das schwere psychische Folgen bis ins Erwachsenenalter nach sich ziehen könne.


„Der Vater“, erklärt dazu Doris Täubel-Weinreich, die Vorsitzende der Fachgruppe Familienrecht, dürfe nicht „als Ungeheuer in Erinnerung bleiben, als tobender, aggressiver Typ, was aber vielleicht gar nicht das richtige Bild ist“, sondern dem Kind nur „von der Umwelt vermittelt“ worden sei.  (Im „Journal um 8“ auf Ö1 am 15.10.2020)

Interessante These.

Allerdings stellt sich die Frage, ob ein Vater, den ein Kind als tobenden und aggressiven Typ in Erinnerung hat, nicht vielleicht genau ein solcher war (und ist). Gehen Gewalterinnerungen nicht viel wahrscheinlicher auf Gewalterlebnisse als auf manipulative Gschichterln aus dem Mund der „Umwelt“ – nennen wir sie Mutter – zurück?


Beharrlich arbeiten konservative Kräfte in der heimischen Justiz an der Restaurierung des Patriarchen. Die Rutsche legt ihnen der Glaubenssatz, dass Kinder unter allen Umständen beide Elternteile brauchen. Sie gehen dabei von der Überzeugung aus, dass in jedem Mann, der ein Kind gezeugt hat, ein liebevoller Vater steckt, der sich bei entgegenkommender Behandlung schon zeigen wird. Die Realität schaut leider anders aus. Wenn ein Vater alles andere als liebevoll, sondern im Gegenteil gewalttätig ist, dann bringt es rein gar nichts, ihn durch die Zuerkennung von Machtbefugnissen in das Wunschbild verwandeln zu wollen, dem er nicht entspricht. 


Genau das wird aber dennoch unentwegt versucht. Die inzwischen automatische gemeinsame Obsorge zwinge Mütter, die vor einem Gewalttäter geflüchtet sind, den Kontakt mit ihm aufrechtzuerhalten, weil er über die Kinder weiterhin Kontrolle ausüben könne und auch ausübe, klagen die Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern. Wie immer die Vorgeschichte der Frauen und Kinder aussähe, das angebliche Recht des Kindes auf beide Eltern habe bei den Familiengerichten inzwischen absoluten Vorrang und bedeute in der Praxis sehr oft ein Recht des Vaters, Exfrau und Kinder weiterhin seinem Diktat zu unterwerfen.

"Gewalttäter werden gern als Leidtragende gesehen."

Wenn ein Kind nach der Scheidung seiner Eltern den danach abwesenden Elternteil nicht mehr sehen will, hat es dafür vielleicht gute Gründe. Ein guter Grund könnte sein, dass es ihn als tobenden, aggressiven Typ erlebt hat. Ein solches Kind mit arrangierten Treffen zwingen zu wollen, sein Vaterbild mit lieblichen Pastellfarben zu überpinseln, könnte ebenfalls Schäden verursachen, vielleicht größere als der befürchtete Schaden, der durch Distanz zum Gewalttäter entsteht.


Der Automatismus, mit dem angenommen wird, „tobende, aggressive Väter“ würden eher der mütterlichen Fantasie entspringen als in der Wirklichkeit vorkommen, ist erschreckend und wirft ein beunruhigendes Licht auf den hierzulande üblichen Umgang mit dem Thema Gewalt.

Gewalttäter werden gern als Leidtragende gesehen. Der Mann sei ausgerastet, nachdem ihm die misshandelte Frau mit der Scheidung „gedroht“ habe, liest man in den Medien. Heißt: Sie hat ihn ja bedroht, er musste sich wehren. 


Frauen hingegen stehen unter dem Generalverdacht zu lügen. Denken sich was aus. Übertreiben. Manipulieren ihre Kinder. Wäre es anders möglich, dass sich ein Kind vor dem Vater fürchtet, nur weil er die Mutter halb tot geschlagen hat?


Das Misstrauen in die Glaubwürdigkeit von Gewaltopfern, die Geringschätzung ihrer Reputation schlagen sich auch im stetigen Geld- und dem daraus resultierenden Personalmangel der Frauenhäuser nieder, in fehlender Prävention, in Alibimaßnahmen wie psychologischen Gesprächen mit Tätern, die nach drei Stunden beendet sein müssen, im Beschluss des Landes Salzburg, für die Leitung der dortigen Frauenhäuser den Billigstbieter zu suchen. (Was spricht dagegen, Frauenhäuser effizient zu führen? Nix. Nur dass es schwer ist, die Effizienz zu definieren.) 


Er sei immer lieb zum Kind gewesen, führte vor etlichen Jahren ein Gattinnenmörder ins Treffen, als er begehrte, von ebendiesem Kind im Gefängnis besucht zu werden. Der Richter beschied ihm damals: „Dem ist zu entgegnen, dass es wohl keine dem Kindeswohl abträglichere Handlungsweise gibt als die, seine Mutter zu ermorden.“ 


Eine solche Erkenntnis scheint mittlerweile nicht mehr selbstverständlich, vor allem dann nicht, wenn es nicht um Mord, sondern „lediglich“ um Beinahe-Totschlag geht. Aber: Wenn ein Kind erlebt, wie der Vater die Mutter misshandelt, dann hat sich der Vater als Vater disqualifiziert. Punkt.

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