Elfriede Hammerl: Dankbarkeit ist schön…

… aber sinnvolle Tätigkeiten bleiben auch sinnvoll, wenn sie mit materieller Absicherung einhergehen.

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Sebastian Kurz hat profil neulich ein Interview gegeben. Auf die Frage, ob sich Leistung in Österreich wirklich zu wenig lohne, antwortete er: „Das stimmt für Familien und die ehrenamtliche Arbeit nicht. Denn Menschen, die dort Verantwortung übernehmen, bekommen auch viel zurück – Dankbarkeit etwa oder Sinnhaftigkeit im eigenen Leben. Was unsere Erwerbsarbeit betrifft, würde ich den Satz, dass Leistung sich zu wenig lohnt, zu 100 Prozent unterschreiben.“*

Diese Antwort beunruhigt mich. Denn meistens, wenn in einem Gespräch über gerechte oder ungerechte Entlohnung mit großzügiger Geste auf immaterielle Gewinne verwiesen wird, lauern im Hintergrund althergebrachte Rollenvorstellungen, denen zufolge manche Menschen aufgrund ihrer genetischen Ausstattung kaum materieller Werte bedürfen. Dienstboten zum Beispiel. Oder Mütter. Oder Frauen generell.

Die Zeit der treuen Resis, die der Herrschaft gern für einen Hungerlohn gedient haben (zumindest nach Ansicht der Herrschaft), ist, wenigstens hierzulande, vorbei. Aber für Mütter gilt nach wie vor: Dankbarkeit ist doch der schönste Lohn. Beziehungsweise: Mama kriegt halt Liebe statt Geld. Und der Gender Pay Gap zeigt, dass Frauen auch generell noch immer gern einer humanen Subspezies zugerechnet werden, die nicht vordringlich für eklen Mammon tätig sein möchte.

Lasst uns nie die Notwendigkeit der Erwerbsarbeit vergessen.

Die Folge dieser Auffassung heißt weibliche (Alters-)Armut. Rundherum gibt es scharenweise Frauen, die geglaubt haben, dass die Sinnhaftigkeit ihres beruflichen Zurücksteckens für die Familie sie für entgangenen Zaster entschädigen würde. Ist aber nicht ganz so. Dankbarkeit macht nicht satt, zahlt keine Heizkosten und kauft weder Kleider noch Konzertkarten. Wir alle wünschen uns ein sinnerfülltes Leben. Vor die Wahl gestellt, einen hochbezahlten Job anzunehmen, mit dessen Zielsetzungen ich mich nicht identifzieren kann, oder einen bescheidener entlohnten, den ich als sinnvolle Aufgabe betrachte, würde ich mich für die zweite Möglichkeit entscheiden.

Aber sinnvolle Tätigkeiten verlieren ihren Sinn auch dann nicht, wenn sie auf der Basis einer einigermaßen angemessenen materiellen Absicherung verrichtet werden. Und hohe Gehälter sind doch hoffentlich keine Entschädigung dafür, dass diejenigen, die sie beziehen, einer sinnlosen Tätigkeit nachgehen (oder einer, deren Sinn sich ihnen nicht erschließt).

Und oh ja, auch auf die Work-Life-Balance ist zu achten. Es ist schon wahr, tierisch viel Kohle entschädigt nicht für ein glückliches Privatleben mit ausreichend Zeit für Familie, Freundschaften, Hobbys. Aber die Balance muss stimmen. Denn zu wenig Kohle kratzt am Familienleben, schränkt die Geselligkeit ein, hält von Theatern und Skipisten fern.

Ich verstehe nicht, wie jemand, der meint, dass Leistung sich lohnen soll, nicht auch dafür eintritt, dass sie sich mehr lohnt, als reich auf die Welt gekommen zu sein, geerbt oder, grob gesprochen, die richtigen Aktien gekauft zu haben.

Also: Lasst uns über der Befriedigung aus Familienbetreuung und Ehrenamt nie die Notwendigkeit der Erwerbsarbeit vergessen. Dass sie oft nicht ausreichend entlohnt wird, ist wahr. Zum einen schneidet der Gewinn aus beruflicher Leistung schlecht ab im Vergleich mit den leistungsfreien Gewinnen aus Vermögen. Deswegen verstehe ich nicht, wie jemand, der meint, dass Leistung sich lohnen soll, nicht auch dafür eintritt, dass sie sich mehr lohnt, als reich auf die Welt gekommen zu sein, geerbt oder, grob gesprochen, die richtigen Aktien gekauft zu haben. Aber das Verdammen von Vermögenssteuern kommt erstaunlicherweise auch bei den Vermögenslosen gut an, ich führe es auf das Phänomen der retuschierenden Selbstwahrnehmung zurück, derzufolge sich gut 90 Prozent der Bevölkerung zur Mittelschicht zählen. Das heißt, die Vermögenslosen sehen sich nicht als solche, sondern in einem Boot mit den Reichen (die ihrerseits gerne tiefstapeln und sich ebenfalls bescheiden als Mittelschichtangehörige deklarieren).

Zum anderen zeigt sich auf dem Erwersbssektor eine Einkommenskluft, die sich keineswegs durch das unterschiedliche Leistungsniveau der schlecht oder horrend gut Verdienenden erklären lässt. Und hier schließt sich der Kreis. Denn wenig Geld gibt es für Leistungen, die auf dem sozialen Sektor erbracht werden. Stichwort: Frauenberufe.

Selbst wenn die von ihr Betreuten sie schätzen und lieben: Den kaputten Herd ersetzt ihr deren Zuneigung nicht.

Leider sieht die Realität dabei oft anders aus als vermutet. Nicht nur kriegt die Altenpflegerin wenig Zaster, auch Dankbarkeit ist ihr nicht gewiss. Demenzkranke sind oft aggressiv und uneinsichtig. Aber selbst wenn die von ihr Betreuten sie schätzen und lieben: Den kaputten Herd ersetzt ihr deren Zuneigung nicht.

Themawechsel: Der Dieselgipfel in Berlin war eine Enttäuschung. Ehrlich? War davon etwas anderes zu erwarten? Allein schon das Bild der anreisenden Bosse sagte mehr als tausend Worte. In einem langen Konvoi von Audis der Oberklasse fuhren sie – sorgsam umgeleitet, um einer Demonstration zu entgehen – durchs Grüne. Ist von einer solchen Truppe Sensibilität in Sachen Umweltschonung zu erwarten? Verständnis gar für das Skandalöse an den Abgasmanipulationen? Eben.

Ja, aber sollen die Konzernchefs mit überfüllten Autobussen fahren? Hm. Warum eigentlich nicht? Machen andere jeden Tag, sogar Gebrechliche und Kleinkinder.