Elfriede Hammerl: Deckel drauf

Was eine Wohngemeinschaft in OÖ aus der Mindestsicherung macht.

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Türkis und Blau eint ein eiserner Sparwille. Wie gespart werden kann, sieht man jetzt schon in Oberösterreich, wo die türkis-schwarz-blaue Landesregierung sozial Bedürftigen mit strenger Hand das Schmarotzen austreibt. Voll Stolz verweisen türkise und blaue Politiker auf diese Modellregion, in der die Mindestsicherung seit 1. Oktober gedeckelt wird. Pro Haushalt gibt es jetzt nicht mehr als 1500 Euro, und schon ist Schluss mit Überfluss und Übermut. Damit sollen, so die offizielle Begründung, Arbeitsanreize geschaffen werden.

Na gut. 1500 Euro, das klingt doch nicht so schlecht, oder? Machen wir den Praxistest. Stellen wir uns folgenden Fall vor: Eine Frau, nennen wir sie Eva, ist in einer, wie es so heißt, prekären Lage. Alleinstehend, ohne familiäre Unterstützung, der alte Job weg, kein neuer in Aussicht. Ihr Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung beträgt 921 Euro. Sie überlegt ihrerseits, wie sie sparen könnte, und kommt zu dem Schluss, dass ihr vor allem das Wohnen zu teuer ist. Rund 400 Euro muss sie für eine 30-Quadratmeter-Wohnung in Linz veranschlagen. Wäre da nicht eine Wohngemeinschaft günstiger?

Nehmen wir an, Eva findet ein Zimmer in einer WG mit drei anderen. Die anderen sind mit ihr nicht verwandt oder liiert, man wirtschaftet nicht gemeinsam, sondern teilt sich nur die Miete, in diesem Fall (weil die Wohnung für vier Leute ja etwas größer sein muss) 800 Euro, wovon 200 auf Eva entfallen. Hurra, 200 Euro gespart? Oh nein.

Jetzt passiert nämlich Folgendes: Weil Eva in einer Vier-Personen-WG lebt, wird ihre Mindestsicherung neu berechnet. Auch wenn sie als Einzige sozial bedürftig ist und ihre MitbewohnerInnen mehr oder weniger gut verdienen, wird so getan, als gelte es, die gedeckelte Sozialhilfe auf vier Personen aufzuteilen. Deswegen werden vier Mindestsicherungen (zum verminderten WG-Satz von 649,10 Euro) mit dem Deckelungsbetrag gegengerechnet und prozentuell gekürzt, woraus sich für Eva ein Anspruch von 378 Euro monatlich ergibt. Hoppla! Davon soll sie 200 Euro Mietanteil zahlen?

Ja, soll sie. Denn mehr gibt es nicht. Blöd gelaufen.

Was lernen wir daraus? Hm. Wenn Eva das nur wüsste, die sich, unfein ausgedrückt, ein bisserl verarscht vorkommt! So, als wolle man ihr amtlicherseits eine lange Nase drehen: Du hast gedacht, du kannst schlau sein, aber ätsch, wir sind noch viel schlauer!

Als Faktum bleibt, dass sie es nicht schaffen wird, von 178 Euro im Monat zu leben.

Als Faktum bleibt, dass sie es nicht schaffen wird, von 178 Euro im Monat zu leben. Und weil aus einem Arbeitsanreiz noch kein Arbeitsplatz wird, hat sie ein ziemlich großes Problem.

Zwar wurde die Deckelung weniger den einheimischen Evas zu Fleiß eingeführt, als vielmehr, um die Kosten für migrantische Sozialhilfeempfänger zu senken, aber an Evas Beispiel zeigt sich, dass Sozialabbau, wenn er denn angesagt ist, vor niemandem haltmachen wird. Das sollte diejenigen beunruhigen, die denken, durch die Zugehörigkeit zur richtigen Ethnie davor geschützt zu sein.

Dass die Wohnkosten, vor allem in den Ballungsräumen, geradezu explodiert sind, weiß man. In Oberösterreich, dem schwarz-blauen Musterland, wurde dessen ungeachtet die Wohnbeihilfe für Alleinerziehende bereits 2013 gekürzt, indem Unterhaltszahlungen für Kinder dem Haushaltseinkommen zugerechnet werden. Das reicht unter Umständen aus, damit so eine Familie an der Anspruchsberechtigung für eine Wohnbeihilfe haarscharf vorbeischrammt.

Was den Ärmsten je nach Berechnungsschlüssel entzogen oder zugestanden wird, sind kleine Beträge. Sie entscheiden jedoch darüber, ob es wieder einmal ein Stück Fleisch zu den Nudeln gibt

Die öffentliche Empörung darüber hielt sich in Grenzen, weil den wenigsten Menschen, so sie in einigermaßen auskömmlichen Verhältnissen leben, bewusst ist, was es bedeutet, wenn ein paar Euro mehr oder weniger das knappe monatliche Budget entscheidend be- oder entlasten. Was den Ärmsten je nach Berechnungsschlüssel entzogen oder zugestanden wird, sind kleine Beträge. Sie entscheiden jedoch darüber, ob es wieder einmal ein Stück Fleisch zu den Nudeln gibt, ob es in der Wohnung einigermaßen warm ist und ob Lara oder Felix zum Geburtstag endlich das Shirt kriegen, das sie sich so sehr wünschen – oder eben nicht, weil sie sich mit ihrem Unterhalt an der Miete beteiligen müssen. Kein lustiges Leben, und trotzdem immer die allgemeine Befürchtung, die da unten könnten eventuell zu viel kriegen.

Ja, Missbrauch kommt vor, es gibt Schlitzohren. Und es gibt Antriebslose, die unsere Geduld auf eine harte Probe stellen. Es gibt auch Mutlose, Resignierte, Verbitterte, und oft fällt es schwer, die nicht abreißenden Pechsträhnen nachzuvollziehen, die sie beklagen. Bedürftig zu sein, macht nicht unbedingt anziehend oder sympathisch. Aber soll es von Sympathiewerten abhängen, ob wir jemanden verhungern lassen oder nicht? Sollen sich die Notleidenden auf soziale Sicherungssysteme berufen können oder um Almosen buckeln müssen?

Und vor allem: Sind Steuervermeider keine Schlitzohren? Auch Reiche und Erfolgreiche sind nicht automatisch sympathische Zeitgenossen, und dass sie uns nicht auf der Tasche liegen, kann man auch nicht behaupten, solange wir bloß den Armen streng auf die Finger schauen, aber das steuerfreie Parken von riesigen Vermögen in Privatstiftungen nicht infrage stellen.