Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl: Die Söhne und das Biest

Die Söhne und das Biest

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m feschen Rustikalgwandl standen sie einander im Studio der Mitternachts-"ZiB" am 26. Juni dieses Jahres gegenüber: der Alpinschnulzenschleuderer Andeas Gabalier und die ehemalige Frauenministerin Maria Rauch-Kallat. Optisch - Gabalier trug Lederhose und krickerlgeschmückten Janker, Rauch-Kallat ein Halstuch mit Dirndlmuster zur trachtigen Jacke - ein Herz und eine Seele, inhaltlich deutlich kontrovers. Gabalier, befragt, warum er bei der Auftaktveranstaltung zum Formel-1-Grand-Prix in Spielberg die Bundeshymne in der alten Fassung gesungen habe (derzufolge Österreich nur ein Land großer Söhne ist), rechtfertigte sich treuherzig mit Lernverweigerung nach Volksschulabschluss. Er habe, sagte er, mit acht Jahren einen Hymnentext gelernt, in dem keine Töchter vorkamen, und den habe er eben vorgetragen. Punkt, basta. Worauf Rauch-Kallat ihm freundlich lächelnd die Zähne zeigte und darauf bestand, dass er lernfähiger sei, als er zugeben wolle. Er habe doch sicher, sagte sie als Beispiel, seit seiner Kleinkinderzeit die Fertigkeit erworben, seinen Schließmuskel zu kontrollieren, statt wie damals in die Windeln zu machen.

Ein schlagendes Argument, hätte man finden können, doch die Wogen der Empörung gingen hoch. Die Volksseele, zumindest soweit sie sich in öffentlichen Aufschreien äußerte, kochte und war ganz aufseiten Gabaliers. Rauch-Kallats Schließmuskelvergleich wurde als Majestätsbeleidigung gerügt. Es entstand der Eindruck, der kernige Lederhosenträger sei ein ätherisches Geschöpf, das davor geschützt werden müsse, auf etwas so Verstörendes wie die Anatomie des Afters angesprochen zu werden.

Der Fernsehauftritt war ein Höhepunkt in einer sommerlichen Meinungsschlacht um hymnische und - in der Folge - generelle sprachliche Geschlechtergerechtigkeit. Ihm waren bereits tagelange Auseinandersetzungen um die Notwendigkeit vorausgegangen, in der Bundeshymne auch von großen Töchtern Notiz zu nehmen. Nachdem Gabalier es unterlassen hatte, sie, den Söhnen gleich, zu besingen, kochte ein Streit hoch, den man eigentlich beigelegt wähnte, als am 1. Jänner 2012 eine neue Textfassung der Bundeshymne in Kraft trat, die Töchter wie Söhne berücksichtigt. Aber nun: erneut hitzige Debatten. Es zeigte sich, dass die Begründung, die Bundeshymne müsse ein Identifikationsangebot an beide Geschlechter sein, nach wie vor auf Unverständnis stößt. "Verkrampften Genderwahnsinn" nannte Gabalier in der Folge das Bemühen, Frauen als sichtbaren Bevölkerungsanteil zu behandeln, und erging sich in einem offenen Brief auf seiner Facebook-Site in launigen Vorschlägen, wie man diesem angeblichen Wahn sonst noch Rechnung tragen könne. Warum zum Beispiel hänge man dem Lindwurm in Klagenfurt nicht Brüste um?

Ideen wie diese offenbarten das grundlegende Missverständnis, das die Auseinandersetzung anheizte: Das Einbeziehen der Töchter in den Hymnentext wurde nicht als Fifty-fifty-Lösung gesehen, sondern als weibliche Machtübernahme. Das Muster ist nicht neu: Häufig, wenn Frauen fordern, ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend vertreten zu sein, ist von Feminisierung und einer drohenden Ablöse der Männer durch die Frauen die Rede.

Der imaginierten Bedrohung wurde mit verbaler Gewalt begegnet. Die amtierende Frauenministerin Heinisch-Hosek, die es gewagt hatte, den neuen Text der Bundeshymne auf Facebook zu posten, als kleine Lernhilfe für Andreas Gabalier im Sinne des lebenslangen Lernens, wie sie schrieb, entfesselte einen Shitstorm, wie er übler nicht sein hätte können. Heinisch-Hosek wurde gehöhnt, beschimpft, diffamiert und mit Morddrohungen zugeschüttet. Das sei der übelste Fall von Online-Massenmobbing, den er in Österreich bisher gesehen habe, twitterte daraufhin "ZiB 2"-Moderator Armin Wolf, und fügte hinzu, auch PolitikerInnen hätten eine Menschenwürde. Ob diese Erinnerung auf fruchtbaren Boden fiel, ist nicht bekannt; der Shitstorm sprach Heinisch-Hosek jedenfalls jedes Recht auf Respekt ab, und die Saurierhirne tobten sich im Schutz ihrer Anonymität im Internet mit einer Hemmungslosigkeit aus, die beklemmende Visionen von einer jederzeit abrufbaren Lynchjustiz evozierte. Die gemäßigteren Mitglieder des Gabalier-Fanclubs argumentierten vermeintlich sachlicher; sie fragten, was immer gefragt wird, wenn ein bestimmtes Anliegen kleingeredet werden soll, nämlich: Haben wir keine anderen Sorgen? Und eine weitere Gruppe schloss sich dem Tadel an, den der Sänger auf Facebook ebenfalls gepostet hatte: Es sei unzulässig, das Werk einer Dichterin verändern zu wollen. Ein interessantes Zustimmungshoch angesichts der Tatsache, dass User und Userinnen üblicherweise in großer Zahl davon ausgehen, geistiges Eigentum gehöre allen, und im Urheberrecht häufig nur eine unverbindliche Empfehlung sehen. Dass gerade der Text der Bundeshymne kein dichterisches Werk im Sinne subjektiven künstlerischen Schaffens ist, sondern als zweckgerichtete Auftragsarbeit für einen Wettbewerb verfasst wurde, fand dabei keine Beachtung.

An der Debatte nahmen Frauen wie Männer gleichermaßen hitzig teil. Zahlen dazu gibt es nicht, aber unübersehbar war, dass auch viele Frauen sich über den Töchter-Text echauffierten. Sie hätten es, erklärten sie sinngemäß, nicht nötig, auf Beachtung zu drängen. Auch das ein bekanntes Phänomen: Frauen versuchen, sich aufzuwerten, indem sie es ablehnen, sich mit ihren als minderwertig empfundenen Geschlechtsgenossinnen zu identifizieren.

Der Fäkaliensturm blies indessen weitere Hemmungen weg, und im Juli dieses Jahres traten 800 honorige Persönlichkeiten aus den Bereichen Wissenschaft, Kunst, Medien und "Seitenblicke" an die Öffentlichkeit, um ihre vom Binnen-I verursachten Qualen publik zu machen. In einem offenen Brief an die neue Bildungsministerin (schon wieder Heinisch-Hosek) und den Wissenschaftsminister (Mitterlehner) verlangten sie eine Rückkehr zur sprachlichen Normalität. Unterzeichnet hatten den Brief unter anderen die Philosophen Konrad Paul Liessmann und Peter Kampits, der Verfassungsrechtler Heinz Mayer, Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder, der Finanzrechtsexperte Werner Doralt, die auf Adelsthemen spezialisierte Autorin Gudula Walterskirchen, der Mathematilker Rudolf Taschner und ÖBB-Bahnhofsstimme Chris Lohner. Was sie unter sprachlicher Normalität verstanden, machten sie in ihrem Schreiben klar: kein Binnen-I, keine Schrägstriche und Klammern, sondern durchgehend männliche Formen, keine ausweichenden Formulierungen wie Studierende statt Studenten, keine feminisierten akademischen Titel - kurzum eine Sprache, die wieder eine ganz normale, sprich: männlich dominierte Wirklichkeit abbilden sollte.

Und schon ging es neuerlich los: Sollen Frauen in der Sprache extra vorkommen? Sind sie mitgemeint? Warum nicht? Werden Gesetzestexte unverständlich, wenn ständig zwei Geschlechter genannt werden müssen, beziehungsweise lesen sie sich wie ein Unterhaltungsroman, sobald sie nur auf Männer Bezug nehmen? Und so fort.

Die Einwände, die dabei ausgegraben wurden, waren jenen im Streit um die Bundeshymne sehr ähnlich. Plötzlich erinnerte man sich an andere Sorgen, die weit bedeutender seien als das lächerliche Anliegen einer gendergerechten Sprache. Auf einmal war die Einkommensschere ein wichtiges Thema, und es erregten sich Leute darüber, die bis dahin geleugnet hatten, dass es eine solche überhaupt gibt - es hörte sich an, als sei sie bloß noch nicht beseitigt worden, weil genderwahnsinnige Feministinnen auf der Priorität des Binnen-I bestünden. Und es sorgten sich Menschen um die Ästhetik unserer schönen Muttersprache, deren Deutsch zuvor nie hätte vermuten lassen, dass sie eine sensible Neigung zu stilistischer Eleganz pflegen.

Im offenen Brief der 800 stand die Klage, es sei neuerdings nicht mehr möglich, den Satz Frauen sind halt doch die besseren Zuhörer politisch korrekt zu formulieren. Das hätte man auch als Fortschritt werten können: Eine gegenderte Sprache macht es offenbar schwerer, Geschlechterklischees auszudrücken. Den 800 war es allerdings ein Beweis für die Untauglichkeit einer solchen Sprache.

Auch in profil gingen die Meinungen auseinander . Rosemarie Schwaiger und Peter Michael Lingens schlugen sich ins Lager der Binnen-I-GegnerInnen, Lingens unter anderem mit der Behauptung, Sprache schaffe keine Wirklichkeit, während Schwaiger im Gendern den (untauglichen) Versuch sah, das Patriarchat mit den Mitteln der Grammatik zu erledigen. Die Autorin dieser Zeilen stand erwartungsgemäß auf der anderen Seite und prophezeite, wer sich von der Abschaffung des Binnen-I verbesserte Verhältnisse erwarte, werde lange warten. Danach wagte profil am 11. August 2014 ein bemerkenswertes Experiment: Heft 33 erschien in gegenderter beziehungsweise feminisierter Sprache. Nahezu alle Texte drehten den gewohnten Spieß um und verwendeten konsequent die weibliche Form. Männer sollten sich, so stand im Editorial, als gleichermaßen angesprochen betrachten, wenn von Österreicherinnen, Politikerinnen. Forscherinnen geschrieben werde.

Das brachte eine Flut von Reaktionen. Rund zwei Drittel der Leserinnen, die sich dazu äußerten, waren begeistert, zwei Drittel der Leser hingegen deutlich befremdet.

Inzwischen hat das Normungsinstitut Austrian Standards, das schon im März zwischen die Fronten geraten war, weil es plante, eine offizielle Empfehlung gegen das Binnen-I abzugeben, den Hotspot der gendergerechten Sprache verlassen. Die Materie sei wegen der stark divergierenden Meinungen zum Thema als Normprojekt nicht geeignet, wurde im Oktober verkündet. Keine unvernünftige Entscheidung, wenn man bedenkt, dass es in der Debatte längst nicht mehr nur um die verbale Berücksichtung von Mann und Frau geht, sondern auch darum, ob Sprache nicht zudem eine Realität abbilden müsse, in der manche Menschen sich weder dem einen noch dem anderem Geschlecht zugehörig fühlen oder ihr biologisches Geschlecht als Irrtum der Natur betrachten. Also: kein Binnen-I, sondern Zeichen (zum Beispiel Sternchen oder ein Gender Gap genannter Unterstrich zwischen männlicher und weiblicher Form), die eine Vielzahl von Zuordnungen erlauben.

Schaut danach aus, als würden sich so manche GegnerInnen noch nach dem Binnen-I zurücksehnen.

Neu: Elfriede Hammerl, „Zeitzeuge“, edition ausblick

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