Elfriede Hammerl: Digitalissimo

Ich bin kein Nerd. Ich muss ohne Nerd über die Runden kommen. Ich will meine Lebenszeit zurück!

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Plötzlich komme ich an mein elektronisches Bankkonto nicht mehr heran. Kaum logge ich mich ein, werde ich auch schon wieder ausgeloggt. Nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen lande ich in der Warteschleife der Hotline. Schließlich eine menschliche Stimme. Sie sagt: Sie müssen Ihre Browser bearbeiten. Ich schicke Ihnen dazu eine Mail.

Ich bearbeite den ersten Browser nach Mail-Anweisung. Systemabsturz. Warteschleife. Zweiter Helfer: Sie arbeiten mit Mac. Da gibt’s öfter Probleme. Wir rufen Sie morgen an. Ich werde nicht angerufen. Warteschleife. Dritter Helfer: Es liegt gar nicht an Ihnen, sondern an der Bank.

Und so fort. Insgesamt verbringe ich mehrere Stunden damit, meine in den Weiten des Cyberspace geparkten paar Kreuzer aufzuspüren. Stunden, in denen ich lesen, Kolumnen schreiben, fernsehen, den Keller aufräumen oder vielleicht sogar die Grundbegriffe des Didgeridoospielens erlernen hätte können. Stunden meiner Lebenszeit – verplempert. Dahin. Wieder einmal. Derlei unfreiwillige Investitionen in meine digitale Existenz sind ja keine Ausnahme. Dauernd bin ich gezwungen, an der Wiederherstellung der elektronischen Voraussetzungen für meine Arbeit zu arbeiten, statt das tun zu können, was ich eigentlich dringend tun müsste.

Ich date up und rüste auf, ich suche von meinem E-Mail-Programm verschluckte Ordner, ich bemühe mich vergeblich, meinen Drucker zum Drucken zu bewegen, ich durchforste unübersichtliche Websites von Firmen, die auf standardisierte Reklamationen mit automatisch generierten Mails antworten, in denen ich auf die jeweilige Website zurückverwiesen werde, und schon wieder soll ich eine neue Version von irgendeinem Reader installieren, wenn ich einen mitgeschickten Anhang öffnen will.

Ich möchte meine Lebenszeit zurück! Ich hätte gar nichts gegen klaglos funktionierende elektronische Geräte, die mir Arbeit abnehmen, aber ich habe etwas dagegen, dass sie Arbeit machen und so viel von meiner Aufmerksamkeit an sich raffen. Ganz nebenbei möchte ich auch mehr mit Menschen kommunizieren und weniger mit Suchmasken.

Die Digitalisierung reißt Gräben auf.

Ich weiß, das hört sich alles nach dummer Alter an, die nicht mitkommt bei der neuen Zeit, aber wie sich immer wieder zeigt, sind auch die gescheiten Jüngeren nicht davor gefeit, zu scheitern. Vor Kurzem sollte ich einem Ministerium eine Rechnung stellen. Das geht nur noch elektronisch, in einem mehrstufigen Verfahren. Zunächst flog ich gleich vom Server, später arbeitete ich mich auf höhere Levels empor, aber nie weit genug. Ich rief meinen – ziemlich jungen – Steuerberater zu Hilfe, auch er bemühte sich vergeblich. Schließlich fragte er: Brauchen Sie das Geld unbedingt? Und er erzählte: Mehrere Klienten, Firmeninhaber, seien dazu übergegangen, kleinere Beträge vom Staat gar nicht erst einzufordern. Zu viel Aufwand.

Aber die digital Natives! Für die ist das alles doch kein Problem! Wirklich? Wie ist das mit den SchulabgängerInnen, die nicht einmal sinnerfassend lesen können? Vielleicht können sie ja Computerspiele spielen und smsen, aber können sie auch elektronische Rechnungen stellen?

Die Digitalisierung reißt Gräben auf. Sie verlaufen nicht geradlinig zwischen Alt und Jung oder Wissenden und Unwissenden, sondern, unterschiedlich tief, im Zickzack zwischen mehr oder weniger Informierten, aber auch zwischen mehr oder weniger Kaufkräftigen. Viele von uns können ganz geläufig mit ihren Computern, Smartphones oder Tablets umgehen. Doch dass die wenigsten durchschauen, was sie wirklich tun, ist bekannt. Und wie viele können sich in regelmäßigen Abständen neue Laptops und technischen Support leisten?

Klar, wir fahren schon lange Auto, ohne zu wissen, was genau im Motor vorgeht, und wir benützen Waschmaschinen ohne Kenntnis von deren Innenleben, aber Autos und Haushaltsgeräte sind einfach zu bedienen und betreffen nur einen kleinen, vergleichsweise banalen Teil unseres Alltags. Die umfassende Digitalisierung, von deren Notwendigkeit wir ständig hören, soll jedoch unseren Zugang zu Informationen bestimmen, unsere Teilhabe am öffentlichen Leben, unsere Arbeitsmöglichkeiten, unseren Umgang mit unserem Geld und, last but not least, unsere Teilnahme an demokratischen Prozessen. Das ist ziemlich beunruhigend angesichts der Tatsache, dass die meisten von uns keine studierten Informatiker sind, und angesichts der Beobachtung, dass auch studierte Informatiker häufig bloß auf der Basis von Trial und Error agieren. Dazu kommt die Frage der finanziellen Ressourcen. Während uns ein altes Auto von A nach B bringt, bringt uns ein alter Computer nirgendwo hin. Das Ausmaß unserer Teilnahme am gesellschaftlichen Leben hängt also nicht zuletzt an unserer Kaufkraft.

Wissen die Führungskräfte in Politik und Wirtschaft, wovon sie reden, wenn sie von der Dringlichkeit der Digitalisierung reden? Sie können sie leicht preisen. Einerseits. Das nötige Geld haben sie ja. Aber sind sie auch fachkundig oder verlassen sie sich auf ihre eigens dazu engagierten Nerds? Und vertrauen sie denen blindlings? Wenn ja, macht ihnen das keine Angst? Mir schon.

[email protected] www.elfriedehammerl.com