Elfriede Hammerl Drei Fünfer
Die Idee der gemeinsamen Schule bis 15 Jahre führte die ÖVP ad absurdum, indem sie daraus eine teilweise Umgestaltung der Hauptschulen in Neue Mittelschulen machte, aber auf der Beibehaltung des Gymnasiums (und damit auf der Selektion Zehnjähriger in höher und weniger hoch zu Bildende) beharrte. Jetzt doktert sie am Konzept der modularen Oberstufe herum. Beherzt zog Vizekanzler Michael Spindelegger dabei gegen ein Aufsteigen mit drei Fünfern zu Felde und erreichte, Triumph, Triumph, dass nun nur noch außer in Ausnahmefällen zwei Fünfer pro Schuljahr erlaubt sein sollen.
Das widerspricht allerdings dem Grundgedanken der modularen Oberstufe, dem zufolge es weder ein klassenweises Aufsteigen noch ein Sitzenbleiben im herkömmlichen Sinn gibt. Diese Schulform ist nämlich als Kurssystem organisiert. Der Unterrichtsstoff wird auf einsemestrige Module verteilt, die unabhängig voneinander bestanden werden müssen. Bis zur Matura müssen alle Module aller Fächer positiv abgeschlossen sein, bei der Absolvierung der einzelnen Module gibt es jedoch individuellen Gestaltungsspielraum.
Nun kann man darüber diskutieren, ob und warum man ein System, das SchülerInnen relativ viel Selbstständigkeit nicht nur zubilligt, sondern auch abverlangt, gut oder schlecht findet. Die Frage des Sitzenbleibens bei wie vielen Fünfern ist in diesem Zusammenhang allerdings sinnwidrig. Modulare Oberstufe heißt nun einmal: Die Module werden einzeln bewertet.
Wer meint, dass es besser ist, Jugendliche bei schwachen Teilleistungen gleich den gesamten Stoff eines Schuljahres wiederholen zu lassen, deklariert sich daher als Gegner des Modulsystems. Das ist erlaubt, müsste aber ehrlicherweise auch so kommuniziert werden.
Dass Spindelegger sich nicht deklarierte, sondern eine Debatte unter falschen Vorzeichen vom Zaun brach, hat Methode. In der gesamten Schulreform operiert die Volkspartei mit falschen Etikettierungen: Die gemeinsame Schule für Sechs- bis 15-Jährige wird als Einheitsbrei verteufelt, die Ganztagsschule als Zwangstagsschule verunglimpft, das Kurssystem der modularen Oberstufe als obskure Brutstätte von Leistungsverweigerern dargestellt.
Warum? Was hindert Spindelegger & Co, sich erst einmal kundig zu machen, ehe sie gegen Reformvorhaben vom Leder ziehen? Weshalb debattieren sie nicht auf der Basis inhaltlicher Kenntnisse, statt blindwütig auf Popanze einzudreschen, die sie zuvor selber aufgebaut haben?
Oder kennen sie sich eh aus, argumentieren aber bewusst an der Sache vorbei, weil sie wissen, dass sie inhaltlich nicht wirklich punkten können? Schauen wir uns an, unter welchen Bedingungen der Vizekanzler ein Aufsteigen mit drei Fünfern für denkbar hält: Er könne sich vorstellen, so wurde er mehrfach in den ORF-Radionachrichten zitiert, dass das in Ausnahmefällen zum Beispiel bei Scheidung der Eltern oder nach schweren Unfällen erlaubt werde.
Wie bitte? Kann man eine Scheidung mit einem schweren Unfall gleichsetzen? Und ist eine zerrüttete Ehe für Kinder nicht oft belastender als eine Trennung der Eltern? Aber selbst wenn man von einer unbedingten Traumatisierung durch eins wie das andere ausgeht: Wieso sollte ein traumatisiertes Kind leichter und schneller nachlernen können als eines, das bloß faul gewesen ist?
Dahinter stehen keine pädagogischen Überlegungen, dahinter steht wieder einmal das Bild vom armen Kind aus unordentlichen Verhältnissen, mit dem man Mitleid haben muss. Scheidungskind. Armes Tschapperl. Ausnahmefall. Kriegt ein bisserl Nachsicht und wird gleichzeitig stigmatisiert. In Wirklichkeit geht es dabei nicht um schulische Konzepte, sondern um die Beschwörung erwünschter Familienbilder und gesellschaftlicher Hierarchien. Spindelegger & Co argumentieren bewusst oder unbewusst an der Sache vorbei, weil sie sich, so möchte man meinen, der Realität nicht stellen wollen.
Realität ist: Eltern werden geschieden. Mütter sind berufstätig. Die meisten Eltern möchten, dass ihre Kinder möglichst viel lernen, sehen sich aber nicht in der Lage, sie selber zu unterrichten oder auch nur effizient zu unterstützen. Kinder kommen, was ihre Anlagen betrifft, nicht als künftige AkademikerInnen und/oder HacklerInnen auf die Welt. Und: Wir können es uns nicht leisten, das Begabungspotenzial von Kindern brachliegen zu lassen, die vom Elterhaus nicht gefördert werden (können) oder in der herkömmlichen Regelschule nicht zur Entfaltung kommen.
Unser Schulsystem trägt all dem nicht wirklich Rechnung. Die Halbtagsschule baut auf nicht berufstätige Mütter, die frühe Selektion geht von einem geborenen Bildungsbürgertum aus, die traditionellen Organisationsformen verhindern unter Umständen die Umsetzung neuer didaktischer Erkenntnisse. Deswegen ist es nötig zu verändern. Und deswegen bringt es nichts, auf einer Wunschwelt zu beharren, in der die frühen sechziger Jahre fröhliche Urständ feiern. Mag ja sein, dass manch ein Politiker seine Kindheit (mit Hausfrauen-Mutti und der beruhigenden Aussicht, im Gymnasium unter lauter Besseren zu sein) für perpetuierenswert hält. Als Beitrag zur Bildungsdebatte reicht das freilich nicht.