Kolumne

Eins, zwei, Polizei

„Na, seid’s ihr auch da, weil euch jemand aufs Popscherl geklopft hat?“

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Eine Lehrerin hat mir vor einiger Zeit einen Brief geschrieben. Ich war, als ich ihn gelesen hatte, bestürzt und ratlos. So bestürzt und ratlos wie zuvor die Lehrerin. „Meine Schülerin“, schrieb sie, „hat sich mir anvertraut (…) Ich ermutigte sie dazu, eine versuchte Vergewaltigung polizeilich zu melden. Ich war sicher, bei der Polizei würde man sich gut um ihr Anliegen kümmern.“ Und: „Meine Schülerin hat dem falschen Mann vertraut. Hat sie auch der falschen Lehrerin vertraut? Vielleicht, denn diese hat ein Mädchen, das sie seit Jahren kennt und schätzt, einer Demütigung durch die Polizei ausgesetzt.“

Das war passiert: Die Schülerin war von einem Mann, den sie kannte und für vertrauenswürdig hielt, sexuell attackiert worden und nur knapp einer Vergewaltigung entkommen. Sie hatte, wie so viele Gewaltopfer, hin und her überlegt, was sie falsch gemacht haben konnte, ehe sie ihre Lehrerin um Rat fragte. Sollte sie sich an die Polizei wenden? Würde die Polizei der Sache nachgehen, obwohl es dem Mann letztlich nicht gelungen war, sie zu vergewaltigen? Und was, wenn sie dadurch den Zorn ihres Peinigers erregte?

Die Lehrerin bemühte sich, ihre Bedenken zu zerstreuen. „Ich habe“, schreibt sie, „auf unsere Exekutive gebaut und darauf, dass bei uns Opfer von sexueller Gewalt vom System aufgefangen und anständig betreut werden.“

Wenn sich da ein Mann vergreift, kann die Frau ja bitte auch geschmeichelt sein.

Die Schülerin fasst sich ein Herz und sucht mit einer Freundin eine Polizeidienststelle der Kleinstadt auf, in der sie wohnt und zur Schule geht. Ein älterer Polizist nimmt die beiden in Empfang. Er fragt: „Na, seid’s ihr auch da, weil euch jemand aufs Popscherl geklopft hat? Vorher waren auch schon welche deswegen hier.“

Die Schülerin, einigermaßen befremdet, ersucht, mit einer Polizistin sprechen zu dürfen. Das Gespräch mit der Beamtin entwickelt sich dann zur klassischen Täter-Opfer-Umkehr. Wieso sie dem Mann überhaupt vertraut habe? So was tue man doch nicht. Habe sie ihn ermutigt? Ach so, sie habe ihn ja gekannt, na, da werde es überhaupt schwer sein, etwas zu tun. Nein, befragt werde er nicht, dadurch könnte er sich provoziert fühlen. Was, Anfang 20 sei er? Da seien die Burschen oft voller Testosteron, die meinten das gar nicht so. Und am Ende: „Wahrscheinlich hat er Sie gern und wollte Ihnen das körperlich zeigen!“

Da bleibt einer schon die Luft weg. Ein Vergewaltigungsversuch als Ausdruck von Zuneigung! Eh nicht so gemeint, wegen dem Testosteron! Unfassbar. Was macht man mit so einer Geschichte? Die beschuldigten Beamt:innen werden keine Verfehlung zugeben, und das Opfer ist viel zu verschreckt und entmutigt, um sich einer Konfrontation mit ihnen zu stellen.

Aber ist die Geschichte deswegen unglaubwürdig? Wahrscheinlich ist, dass sich all das genau so zugetragen hat, weil andernfalls die junge Frau – wäre sie eine Lügnerin und wollte mit einer erfundenen Story jemandem schaden oder sich wichtig machen – die Öffentlichkeit gesucht hätte. Stattdessen hat sie sich verkrochen. Sie wollte polizeiliche Hilfe und hat keine bekommen. Das hat sie ihrer Lehrerin berichtet, und danach wollte sie nur noch auf Tauchstation bleiben. Es war die Lehrerin, die mich kontaktiert hat.

Was tun? Ich denke mir: Die Geschichte erzählen. Das wenigstens. Im konkreten Fall wird der entstandene Schaden schwer zu reparieren sein. Eine Halbwüchsige ist als Opfer sexueller Gewalt von der Polizei im Stich gelassen und gedemütigt worden. Was hat sie daraus gelernt? Wie wird sie sich in Zukunft verhalten? Wem kann sie vertrauen?

Darüber hinaus stellt sich jedoch auch die Frage, wie oft Frauen Ähnliches widerfährt. Was es mit den offiziellen Versicherungen auf sich hat, dass Polizisten und Polizistinnen darin geschult seien, Opfer von sexueller Gewalt mit der nötigen Sensibilität zu behandeln. Und wie viel dumpfe, sexistische Idiotie sich in Köpfen abgelagert hat, auch in denen von Frauen, wenn eine Polizeibeamtin einen Vergewaltigungsversuch als Ausdruck verliebten Werbens deklariert und einen hohen Testosteronspiegel als Entschuldigung für überhaupt alles.

Ist es denkbar, dass einer nach einem Raubüberfall auf der Polizei zu hören kriegt, der Räuber habe es wahrscheinlich „nicht so gemeint“, als er ihm eine über den Schädel zog, um an seine Brieftasche zu kommen?

Nein, denn wenn’s um Geld und Gut geht, kennen das Gesetz und die Exekutive keinen Spaß. Da sind die Gesetze seit jeher strikt, und die Gesetzeshüter schauen drauf, dass sich keiner am Eigentum des anderen vergreift. Wenn es um den Körper von Frauen geht, herrscht oft Unklarheit, wessen Eigentum er eigentlich ist. Öffentliches? Das eines bestimmten Mannes? Oder gar ihres? Wenn sich da ein Mann vergreift, kann die Frau ja bitte auch geschmeichelt sein. Oder sie muss sich nicht so anstellen. Oder sie soll sich schämen, weil sie es nicht verhindert hat. Oder zugeben, dass sie es so wollte. Ein bisschen Aufs-Popscherl-Klopfen ist zwar gegen das Gesetz, aber wer will es hüten?

Der weibliche Körper: ein Selbstbedienungsladen für jeden, der sich bedienen möchte. Wird sich das jemals ändern?