Elfriede Hammerl: Elternhaus

Tante Lotte hat es ihren Kindern erhalten. Unter Mühen. Jetzt ist es entsorgt.

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Viele Jahre lang hat Tante Lotte ihren Kindern das geliebte Elternhaus erhalten. Sie hängen doch so dran, sagte sie. Und die Kinder haben nicht nur ein Mal beschwörend zu ihr gesagt: Du weißt, Mama, was uns dieses Haus bedeutet!

Tante Lotte hat Böden gepflegt, Biedermeierkästen poliert, das Silber geputzt, Bilder abgestaubt; sie hat die Fenster neu verglasen und die Rahmen reparieren lassen; sie hat dafür gesorgt, dass das Dach und der Kamin in Schuss blieben. Sie hat eisern gespart, um all das und den Nachbarn bezahlen zu können, der zwei Mal im Jahr die Bäume und Sträucher zurückschnitt. Manchmal hat sie mit dem Gedanken gespielt, das Silber oder eine der alten Vasen zu Geld zu machen, aber am Ende hat sie es nicht einmal fertiggebracht, das Service ihrer Schwiegermutter zu verscherbeln, das sie immer ziemlich scheußlich fand. Wenn du das tust, dreht sich der Papa im Grab um!, sagten die Kinder, halb im Scherz und halb im Ernst.

Jetzt ist Tante Lotte tot, und ihre Kinder haben das geliebte Elternhaus in Windeseile verkauft. Solange Tante Lotte lebte (und es pflegte), schien es ihnen unvorstellbar, sich davon zu trennen, aber nach ihrem Tod haben sie blitzschnell erkannt, dass ihnen sein Erhalt doch zu beschwerlich wäre. Die Möbel, die Bilder, das Silber, die Vasen – alles für einen Paschaulpreis zu einem Trödler gewandert. Vielleicht fort mit Schaden, aber was soll’s, die Kinder haben nicht die Zeit, den Krempel zu sortieren und Stück für Stück herauszufinden, was er (ihnen) wert ist.

Die Möbel, die Bilder, das Silber, die Vasen – alles für einen Pauschalpreis zu einem Trödler gewandert.

Ich stehe vor dem Gartenzaun und sehe, dass die alte Linde gefällt wurde, und schaue zu, wie fremde Menschen Tantes Lottes Korbmöbel als Abfall entsorgen, und ich frage mich, wofür sich Tante Lotte all die Jahre geplagt hat, eingedeckt mit Haushaltspflichten, die ihr immer mühsamer wurden, und abgeschnitten von Burg, Oper, Kunstgalerien und ihren Freundinnen in der Stadt, schon gar, seit ihr das Autofahren zunehmend schwerer fiel.

Aber nein, sagen ihre Kinder, was redest du da, sie wollte doch im Haus bleiben, das war doch ihr Wunsch. Das Gerede von der Stadtwohnung, sagen die Kinder, das hat sie doch nicht ernst gemeint. Vielleicht aber schon? Tante Lotte war einmal eine umtriebige urbane Person, in den 1950er-Jahren hat sie Malerei studiert und galt als talentiert. Sie kannte Gott und die Welt sowie die künstlerische Avantgarde, trug Kleider à la Courreges, ging in Kellertheater und las Raymond Queneau. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Geschäftsführerin eines feinen Einrichtungsladens, der unter ihrer Leitung blühte. Dann heiratete sie, und als sie schwanger wurde, starb ihre verwitwete Schwiegermutter und hinterließ der jungen Familie ihr Haus im Grünen. Nichts Bombastisches, ein Einfamilienhäuschen aus der vorigen Jahrhundertwende, mit Fischgrätparkettböden und alten Kachelöfen. Im Garten war Platz für eine Schaukel und eine Sandkiste.

Tante Lotte zog aufs Land. Ihr Mann, Ministerialbeamter, pendelte täglich in die eine Stunde entfernte Stadt, Tante Lotte blieb mit den Kindern zu Hause. Sie kümmerte sich ehrenamtlich um die Pfarrbibliothek, sang im Kirchenchor und kochte Marmelade ein. Ihre Kinder hatten eine schöne Kindheit, behütet und doch freier als in der Großstadt (so sehen sie es), zum Studium zogen sie allerdings nach Wien und danach zum Arbeiten ins Ausland. Umso wichtiger war es ihnen, dass Tante Lotte, inzwischen verwitwet, ihre Wurzeln nicht kappte. Sie kamen gern auf ein, zwei Urlaubswochen, lagerten unter der Linde, aßen Tante Lottes selbst eingekochte Marmelade und fragten nicht, wie sie mit dem sperrigen Rasenmäher zurechtkam, wenn sie nicht da waren.

Wenn wir spazieren gingen, erzählte Tante Lotte oft schwärmerisch vom Stadtleben ihrer Freundin Inge. Ein paar Straßenbahnstationen zum Konzerthaus. Keine Verantwortung für Grünschnitt und Schneeräumung. Cafés in Gehnähe. Interessante Vorträge an allen möglichen Instituten. Erreichbare Museen, Theater, Kinos. Wär schön, sagte sie, solange ich noch beweglich bin. Und: Eigentlich tät mir als Natur der Burggarten reichen.

Behaupte bloß nicht, sie hat sich für uns geopfert!, sagen ihre Kinder streng zu mir. Sie war ein freier Mensch. Hätte sie das Haus halt verkauft. Wir hätten sie nicht hindern können. Ja, eh.

Manchmal schaue ich mir die Fernsehsendung „Bares für Rares“ an. In der versuchen Menschen, alte Sachen gewinnbringend an Händler zu verklopfen. Immer wieder werden dabei auch Familienerbstücke verscherbelt. Großmutters Schmuck, durch Krisenzeiten gerettet: weg damit. Porzellan, durch Generationen weitergegeben: und tschüss. Wofür? Die Antwortet lautet häufig: Vom erzielten Preis wolle man „schön essen“ gehen. Das verblüfft mich jedesmal. Schauen alle wohlgenährt aus, die Leute, und trennen sich von Omas Verlobungsring, um schön essen zu gehen. Na ja. Vielleicht haben sie ja recht. Vielleicht dreht sich aber auch die Oma im Grab um.