Elfriede Hammerl: Ferngeblieben
Wie letztlich erwartet, wurde Alexander Van der Bellen für eine zweite Amtszeit zum Bundespräsidenten gewählt. Dass sich unter seinen sechs Gegenkandidaten keine einzige Frau befand, wurde öffentlich und medial kritisiert, und in der Tat ist es grundsätzlich befremdlich, wenn der Wettbewerb um ein hohes Amt ausschließlich unter Männern stattfindet, so als gäbe es die weibliche Hälfte der Bevölkerung gar nicht. Eine „Schande“ sei das, schrieb Irmgard Griss, Präsidentschaftskandidation 2016, in profil. Aber wie schandbar ist es eigentlich wirklich, dass sich keine Frau in diesen grotesken Wahlkampf zwischen dem Amtsinhaber und einer bizarren Auslese von Herausforderern gestürzt hat, deren Selbstvertrauen in einem mehr oder weniger großen Missverhältnis zu ihren Qualifikationen stand?
Welche Art von Kandidatin hätten wir denn gewollt? Eine bestqualifizierte Spitzenpolitikerin, die – ja, die was? Sich in einem Kasperltheater verschleißt, um anschließend doch der österreichischen Tradition des Wiederwählens vom Amtsinhaber zu unterliegen? Oder eine weibliche Version der Alphaprimaten, die sich unter Kriegsrufen an die Brust getrommelt haben? Oder eine sympathische, aber argumentativ eher unbeholfene Künstlerin, die bereit ist, das höchste Amt im Staat learning by doing anzugehen? Ganz ehrlich, hätte das den Frauen, der Demokratie oder dem Weltfrieden genützt?
Ich denke, dass Frauen nicht unbedingt verpflichtet sind, der Quote ausgerechnet dann zu dienen, wenn absehbar ist, dass sie sich wieder einmal selbstlos für die gute Sache geopfert haben werden. Und schon gar nicht sind sie verpflichtet, genau dieselben Symptome einer unfassbaren Hybris zu entwickeln wie manche Männer vielleicht unter dem Einfluss von zu viel Testosteron oder vielleicht unter dem Leidensdruck von zu wenig davon.
Irmgard Griss ist 2016 nicht gegen einen Amtsinhaber angetreten, was ihre Gewinnchancen deutlich hob.
Irmgard Griss ist 2016 nicht gegen einen amtierenden Bundespräsidenten angetreten. Das macht einen großen Unterschied und hat ihre Gewinnchancen entscheidend erhöht. Denn in Österreich ist es üblich, dem einmal gewählten Präsidenten, wenn er seine Sache halbwegs respektabel gemacht hat, eine zweite Amtszeit zu genehmigen. Das kann man gut oder schlecht finden. Ich finde es nicht unverständlich, außer flammende Unzufriedenheit mit seiner Amtsführung lässt einem (oder einer) quasi keine andere Wahl, als seiner schludrigen/verantwortungslosen/staatsgefährdenden Performance mit einem Gegenkonzept zu begegnen. Vielleicht ist ja auch denkbar, dass keine Frau Van der Bellens bisheriges Wirken verstörend genug gefunden hat, um sich gegen alle Vernunft in einen Kampf mit ihm zu stürzen, als gälte es, das Vaterland vor ihm zu retten?
Fünf der Gegenkandidaten haben diese „Ohne mich torkelt Österreich in einen Abgrund“-Pose ja durchaus eingenommen, überzeugend wirkten sie dabei aber nicht, sondern ziemlich lächerlich.
Debattieren könnte man darüber, was zweimaliges Wählen bringt, wenn der Ausgang der zweiten Wahl so gut wie feststeht, und ob es nicht gescheiter wäre, sich auf eine einmalige, dafür etwas längere Amtszeit für den Prädidenten/die Präsidentin zu einigen. Wird ohnehin diskutiert. Gut so.
Van der Bellens Herausforderer haben sich indessen ja nicht wirklich um das Amt des Präsidenten beworben, wie es in der Verfassung steht, sondern um ihre Vorstellungen davon, ohne Rücksicht auf die Verfassung oder die politische Realität. Vier von ihnen haben dabei grausliche Machtfantasien entwickelt, einer hat jugendlich unbekümmert die Arbeitsgruppe Weltverbesserung ausgerufen, und der sechste hat möglicherweise selber nicht verstanden, was er gesagt hat. Keiner von ihnen kann ernsthaft geglaubt haben, von ausreichend vielen Wähler:innen für tauglich befunden zu werden.
Alle haben ihre Kandidatur benützt, um ihre Selbstvermarktung durch einen gesteigerten Bekanntheitsgrad zu optimieren. Sie wollten also nicht eigentlich die Präsidentschaft, sondern bessere Erfolgsaussichten bei künftigen Vorhaben, sei es eine Parteigründung, ein Parteiantritt bei der Nationalratswahl, eine Spitzenkandidatur bei der nächsten Landtagswahl. Sie haben den Präsidentschaftswahlkampf als Reklametrommel für sich und ihre Pläne instrumentalisiert, man könnte auch sagen zweckentfremdet.
Das mag karrieretechnisch schlau und üblich sein, aber spricht es gegen die Frauen, dass sich keine bereit gefunden hat, die Präsidentschaftskandidatin zu mimen, um in Wahrheit andere Ziele zu verfolgen, egal ob politischer oder gar geschäftlicher Natur? Irgendwie finde ich es erfreulich, dass sich die bekannte Inhaberin des bekannten Trachtenmodengeschäfts nicht zur Präsidentin berufen gefühlt hat, auch wenn sie damit deutlich weniger diversitätsorientierte politische Abenteuerlust an den Tag legt als der Waldviertler Schuhfabrikant. Nennen Sie mich halt feig.
Apropos: Was Van der Bellen angeht, so hoffe ich, dass er sich in seiner zweiten Amtszeit mutiger zeigt, wenn es gilt, korrupte Machenschaften – Stichwort ÖVP-Chats – als solche zu benennen.