Kolumne

Frau Engelhorn will Steuern zahlen

Materielle Sorglosigkeit ist für viele Menschen ein Zustand, den sie nie kennenlernen werden.

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Millionenerbin Marlene Engelhorn will Steuern zahlen müssen. Dass eine wie sie, der ihr Reichtum ohne Leistung in den Schoß gefallen ist, weder Vermögens- noch Erbschaftssteuern zahlen muss, während arbeitende Menschen die Einkünfte aus ihrer Erwerbstätigkeit sehr wohl zu versteuern haben, sei ungerecht, sagt sie.

Dieser Ansicht könnte man sich anschließen. Muss man nicht, klar, aber könnte man. Und man könnte es für ehrenwert halten, dass Frau Engelhorn auf den größten Teil ihres Erbes, nämlich 25 Millionen Euro, verzichtet und dieses Geld einem eigens dafür ins Leben gerufenen Bürger:innenrat zur Verfügung stellt, damit er es im allgemeinen Interesse verwende. Damit wolle sie, sagt sie, eine gesellschaftliche und politische Debatte über Verteilungs(un)gerechtigkeit anstoßen.

Während nichtsnutzige Erb:innen auf Wohlwollen stoßen, wird Engelhorn verhöhnt. Was ist los mit euch, Leute?

Klingt anständig, oder? Oder! – so urteilen erstaunlich viele Menschen. Während nichtsnutzige Erb:innen auf Wohlwollen stoßen, wenn sie Unsummen verjuxen, wird Engelhorn in den sozialen Medien mit Hohn, Häme und Unverständnis überschüttet. Macht sich wichtig! Will bloß Aufmerksamkeit! Soll einmal was arbeiten! Warum spendet sie ihren Zaster nicht einfach still und leise einer wohltätigen Organisation? Wenn sie ihre Millionen loswerden will – ich nehme sie gerne!

Was ist los mit euch, Leute?, würde ich gerne rufen. Warum solidarisiert ihr euch mit den Privilegierten, die ihre Privilegien schamlos (aus)nützen, und schmäht eine, die es nicht tut? Dass die Superreichen Frau Engelhorn als Verräterin an ihrem Klub sehen, ist verständlich, aber welchen Verrat beklagen Kevin und Katrin, denen die Oma bestenfalls zwei Brillantringe und ein bisschen Lilienporzellan hinterlassen wird? Denken sie, sie gehören trotzdem zum Klub, wenn sie nur genügend speichellecken? Das gibt ein böses Erwachen.

Tatsache ist: Bei der Verteilung von Geld und Gut ist in Sachen Gerechtigkeit reichlich Luft nach oben. Materielle Sorglosigkeit ist für große Teile der Bevölkerung ein Zustand, den sie nicht kennen und nie kennenlernen werden.

Mit materieller Sorglosigkeit ist hier nicht die Möglichkeit zu bedenken- und schrankenlosem Konsum gemeint, sondern ruhig schlafen statt über die nächste Stromrechnung nachdenken. Den teureren Schinken kaufen. Freund:innen einladen. Eine Woche Venedig buchen, für die ganze Familie. In eine größere Wohnung ziehen. In eine größere Wohnung mit Balkon ziehen. Die kaputte Waschmaschine einfach ersetzen. Wissen, dass es sich auch morgen noch ausgehen wird mit dem Geld – und übermorgen und bis zum Monatsende.

Von so einem Leben können insbesondere viele Alleinerzieherinnen und alleinstehende Pensionistinnen nur träumen. Aber das wissen wir ja. Langweilig! Wo bleibt das Positive?

Ja, wo? Manchmal ist es schwer zu sehen.

Wenn ein Monatsgehalt von 1800 Euro als annehmbar gilt und eine Wohnungsmiete von über 1000 Euro für eine mittelgroße Wohnung als normal, dann passt was nicht zusammen.

Wenn es für verwöhnte Teenies normal ist, einen Haarschnitt um 150 Euro beim Innenstadtfriseur spendiert zu kriegen, und für andere, am Monatsende nur mehr Nudeln mit Nudeln essen zu können, dann stimmt was nicht.

Wenn die nach gängigen Maßstäben gut verdienende Leserin in der beliebten Frauenzeitschrift blättert, darin die angeblich ultimativen Must-haves für den Sommer entdeckt und beim Addieren der angegebenen Preise auf eine Summe kommt, die doppelt so hoch ist wie ihr Gehalt, dann fühlt sich das zumindest befremdlich an.

Verschiedene Lebenswelten. Das Problem ist: Es gibt welche, die können wir uns vorstellen, und andere, die sind so unerreichbar, dass wir sie uns nicht einmal ausmalen können. In dieser Sphäre der Superreichen wachsen die Vermögen rasant. Nach Berechnungen der NGO Attac sind die Vermögen der österreichischen Milliardär:innen zwischen 2002 und 2023 jährlich um 11,19 Prozent gewachsen, das entspricht einer Verdoppelung alle sieben Jahre. Und um genau diesen Reichtum geht es, wenn wir über Vermögenssteuern diskutieren, nicht um den moderaten Wohlstand, den die Ärmeren nicht angegriffen sehen wollen, weil sie es immer noch für möglich halten, dass sie oder ihre Kinder ihn einmal erreichen. Dem sagenhaften Überfluss, der zur Debatte steht, wenn über vermögensbezogene Steuern nachgedacht wird, werden sie nie auch nur ansatzweise nahekommen, da können sie ganz beruhigt sein. Und genauso wenig wird ein Superreicher plötzlich am Hungertuch nagen, wenn er von sechs Milliarden auf der hohen Kante zehn Prozent ans Finanzamt abliefern soll. Das sind nämlich zum Beispiel die Steuersätze, die Attac für eine Vermögenssteuer vorschlägt: Null Prozent bis fünf Millionen, ein Prozent von fünf bis 50 Millionen, zehn Prozent ab einer Milliarde.

Vielleicht sollten wir endlich mit einem Irrglauben aufräumen: Riesenvermögen, die sich quasi pathogenetisch vermehren, sind kein Beweis, dass wir alle es zu etwas bringen können, sondern eher ein Grund dafür, dass wir es zu nichts bringen, weil es an uns hängen bleibt, den Staatshaushalt am Laufen zu halten.