Elfriede Hammerl: Frau Ergün bringt sich nicht ein

Elfriede Hammerl: Frau Ergün bringt sich nicht ein

Drucken

Schriftgröße

Wieso bringen sich Herr und Frau Ergün so wenig in unsere Schulgemeinschaft ein? Das fragen wir uns, und wir fragen es uns mit zunehmendem Ärger. Die Ergüns schwänzen den Elternabend. Sie kommen nicht zu den Klassenaufführungen. Wenn unsere Kinder eislaufen gehen und es werden Mütter als zusätzliche Begleitpersonen gesucht, kann man mit Sicherheit voraussagen, dass Frau Ergün sich nicht dafür meldet. Sogar der eine oder andere Vater war schon mal mit, aber von den Ergüns keine Spur. Vor Weihnachten hat unsere Klassenlehrerin eine Adventjause für Eltern und Kinder organisiert. Eine super Idee, die begeistert aufgenommen wurde. Es kamen zwar nur Mütter, aber der Nachmittag war ein voller Erfolg. Es wurden Adventkränze gebastelt, Lieder gesungen und mitgebrachte Kekse verzehrt. Alle haben es sehr genossen. Hätte Frau Ergün sich da nicht integrieren können? Wir hätten Selbstgebackenes aus ihrer Heimat sehr zu schätzen gewusst, doch sie hat es nicht der Mühe wert gefunden, zu erscheinen. Neulich wurde sie von der Klassenlehrerin vorgeladen, und nicht einmal da ist sie aufgekreuzt.

Angeblich war sie in der Arbeit, und angeblich bekommt sie nicht so einfach frei. Das ist jedenfalls die ständige Ausrede ihres Sohnes: Mama muss arbeiten. Will uns die Frau einreden, sie arbeitet rund um die Uhr? Unsere Elternabende beginnen um sieben am Abend, da wird sie doch wohl nicht mehr in der Arbeit sein. Was macht sie eigentlich?

Putzt Büros? Logischerweise nach Büroschluss, also sehr wohl um sieben am Abend?

Ich bitte Sie, so ein Büro kann doch wohl auch ein Mal ungeputzt bleiben, wenn es um Wichtigeres geht. Man muss sich eben entscheiden, wenn man Kinder hat, ob die Kinder vorgehen oder das Geld. Ich für meine Person verzichte lieber auf teure Klamotten und bin stattdessen für meine Kinder da. Wissen Sie, wenn Frau Ergün Gehirnchirurgin wäre, würde ich ja gerade noch einsehen, dass sie ihre überragenden Fähigkeiten der Menschheit unbedingt zur Verfügung stellen möchte, aber wer will denn unbedingt Büros putzen? Ich meine, ist so ein Job es wert, dass man dafür seine Kinder vernachlässigt?

Die Hefte vom kleinen Ergün sind eine Katastrophe, sagt die Klassenlehrerin. Als würde er seine Aufgaben – wenn er überhaupt welche macht – zwischen Tür und Angel oder auf dem Küchentisch reinfetzen. Kümmert sich denn niemand darum, dass er einen ordentlichen Arbeitsplatz hat? Das weiß man doch, dass Kinder so was brauchen.

Ich, wenn ich was zu reden hätte, würde Leute wie die Ergüns nicht länger mit Samthandschuhen anfassen. Sie müssen einfach begreifen, was angebracht ist und was nicht. Den Elternabend schwänzen: 500 Euro Geldbuße. Nicht in die Sprechstunde kommen: 1000 Euro. Anhaltende Widersetzlichkeit: Entzug der Kinderbeihilfe. Da würde Frau Ergün aber schnell spuren und mit ihrem Sohn Rechtschreiben üben statt ihn vor der Glotze oder auf der Straße abhängen zu lassen!

Nein, würde sie nicht? Warum nicht? Hat kein Geld für Geldbußen? Kann selber keine deutsche Rechtschreibung? Hat nicht gelernt, wie man Kinder schulisch fördert? Muss putzen und drei weitere Kinder versorgen?

Also, das kann ich mir so nicht vorstellen! Denn wenn ich mir das so vorstelle, muss ich zu dem Schluss kommen, dass Strafen statt Helfen das falsche Rezept ist. Helfen würde bedeuten, dass öffentliche Einrichtungen kompensieren, was Eltern aus verschiedenen Gründen nicht leisten können. Und dass öffentliche Einrichtungen Eltern aufzuklären versuchen und ihnen unter die Arme greifen.

Klingt verdammt mühsam. Und teuer. Da gehe ich doch lieber davon aus, dass ein Entzug der Familienbeihilfe die Ergüns schlagartig in einen gepflegten Mittelschichthaushalt verwandelt, der weiß, was es mit dem Erreichen von Bildungszielen auf sich hat.

Also gut, jetzt im Ernst: Ja, es gibt in unserem Land Kinder und Jugendliche – mit, aber auch ohne migrantischen Hintergrund –, deren Familien in Sachen Erziehung mehr oder weniger versagen. Das ist bedauerlich und sollte nicht einfach hingenommen werden. Aber was in der letzten Zeit so an Politikerideen aufgetaucht ist, um Integrationsunwilligkeit zu ahnden – von Geldbußen für Eltern über eine öffentliche Demütigung der Kinder (die, so der Außenminister, strafhalber Sozialdienste an den Schulen übernehmen sollen) bis zum Streichen der Familienbeihilfe (ein Einfall der FPÖ) –, geht an der Lebensrealität der Betroffenen vorbei und würde an deren Bewusstseinsstand genau gar nichts ändern. Strafen bis zu 1000 Euro schlug Minister Kurz für Eltern vor, die Einladungen aus der Schule nicht nachkommen. Wie schätzt er die Einkommenslage dieser Eltern wohl ein? Will er ihr Augartenservice oder ihr Tafelsilber beschlagnahmen, falls sie nicht zahlen? Und mobilisiert so eine Bestrafung ihre bisher boshaft unterdrückten pädagogischen und didaktischen Fähigkeiten? Irgendwie fragt man sich schon, wie ahnungslos Politiker den Lebensumständen großer Bevölkerungsgruppen gegenüberstehen dürfen.