Elfriede Hammerl: Welches Früher?
In einem Zeitungssommergespräch* unterhielten sich Außenministerin Karin Kneissl und Gastro-Unternehmerin Haya Molcho kürzlich auch übers Kochen. Kneissl erklärte, sie versuche so zu kochen, dass sie sich ihren Gästen widmen könne. Denn nichts sei „langweiliger, als wenn man wo eingeladen ist, und die Gastgeber sind länger in der Küche als bei den Gästen“.
Darauf Molcho: „Deswegen hat man ja auch die offenen Küchen gemacht. Früher war die Stelle der Hausfrau in der Küche, in einem anderen Raum. Die Frauen heutzutage wollen integriert werden, sie wollen mitreden. Das haben sie genial gemacht, dass heute im Wohnzimmer die Küche steht.“
Dort, wo es früher separierte Küchen gab, stand in der Regel nicht die Hausfrau drin, sondern Personal.
Abgesehen davon, dass ich hoffe, die Genialität der Frauen heutzutage erschöpft sich nicht darin, sich halt im Wohnzimmer allein zuständig fürs Kochen zu fühlen – von welchem Früher spricht Frau Molcho, wenn sie früher sagt?
Dort, wo es früher separierte Küchen gab, stand in der Regel nicht die Hausfrau drin, sondern Personal. Die Küchen waren separiert, damit Gastgeber und Gäste nicht durch die Gerüche und Geräusche des Kochvorgangs belästigt wurden. Der Hausfrau kam die Aufgabe zu, das Personal zu dirigieren und zu kontrollieren, sie bestimmte, was eingekauft und was zubereitet wurde, der Tisch wurde nach ihren Anweisungen gedeckt, sie ließ auf- und abtragen. Das Erdäpfelschälen, das Backen und Braten, das Pfannenscheuern und Geschirrabwaschen delegierte sie jedoch an Hilfskräfte.
Das Heer der Hilfskräfte wiederum rekrutierte sich aus Bevölkerungsgruppen, die auf engstem Raum zusammenlebten, ihre Küchen waren kein separierter Raum, sondern Teil schlecht ausgestatteter, überbelegter Behausungen, elaboriertes Kochen war darin nicht möglich. Zudem fehlte es den Bewohnerinnen dafür an der Zeit und an den nötigen Lebensmitteln.
Ungerechte Verhältnisse. Man empfand sie als gerecht, indem man die Dienstboten, die Besitzlosen, die Chancenlosen heruntermachte.
Das Bild der Hausfrau am Herd, die ihre Gäste im Cocktailschürzchen bedient, trifft allenfalls auf die kleinbürgerlichen Haushalte der 1950er- und 1960er-Jahre zu. Aber die bürgerlichen – und schon gar die aristokratischen – Haushalte davor funktionierten auf dem Rücken eines Dienstbotenheers, für das sich die Frage separierter oder nicht separierter Küchen im Leben nicht stellte. Zur traditionellen Wiener Altbauwohnung gehört nicht ohne Grund das sogenannte Dienstbotenkammerl, ein unbeheizbarer Raum neben der Küche, heute meist als Abstellraum genutzt, einst nächtliche Ablage für die Haushaltskraft.
Schon gut, Frau Molchos kleine Bemerkung war nicht als historisches Referat gedacht, aber sie ist typisch für die Selbstverständlichkeit, mit der wir soziale Ungleichheit ignorieren, wenn wir uns auf frühere Verhältnisse berufen. Dabei müsste man immer, wenn man früher sagt, die tiefe soziale Kluft mitdenken, die sich durch die Bevölkerung zog.
Ungerechte Verhältnisse. Man empfand sie als gerecht, indem man die Dienstboten, die Besitzlosen, die Chancenlosen heruntermachte. Ihre angebliche Dummheit wird in zahllosen Lustspielen und privaten Familienanekdoten verspottet. Wie die analphabetische Resi immer über schwierige Wörter gestolpert ist. Wie der dumme Josef dies und das nicht gecheckt hat. Primitive Menschen halt, denen ein primitives Leben angemessen war. Man fühlte sich gütig, weil man diesen einfachen Leuten Kost, Quartier und reichlich Arbeit gab. Man fühlte sich geliebt von ihnen. Man ging davon aus, dass sie die – gepflegten – Kinder der Herrschaft der eigenen verwahrlosten Brut vorzogen. Und man fühlte sich zutiefst verletzt und verraten, wenn sich herausstellte, dass sich Resis Zuneigung in Grenzen hielt.
Hat sich alles geändert? Ja, doch, aber wie nachhaltig? Was wird uns bleiben vom Wohlfahrtsstaat? It’s the social gap, stupid. Schon wieder.
Man empfindet dann als egalitäre Gesellschaft, was in Wirklichkeit bloß eine Gesellschaft ist, der soziale Diskriminierungen egal sind.
Die Beschwörung eines quasi klassenlosen Früher, bei der sich der Blick nur auf die besitzenden und beherrschenden Gesellschaftsschichten richtet, ist deswegen gefährlich, weil sie auch die Wahrnehmung der Gegenwart verfälscht. Man empfindet dann als egalitäre Gesellschaft, was in Wirklichkeit bloß eine Gesellschaft ist, der soziale Diskriminierungen egal sind.
Das Geschwätz von den tüchtigen Leistungsträgern, das Gerede von der sozialen Hängematte, in der die Faulen und Nutzlosen angeblich liegen, sie zielen auf die Errichtung einer gnadenlosen Ellbogenhierarchie ab, und während die allgemeine Aufmerksamkeit auf die MigrantInnen gelenkt wird, die uns angeblich die Butter aufs Brot streitig machen, wird der Wohlfahrtsstaat Schritt für Schritt demontiert. (Zum sozialen Ranking der Zuwandernden ein andermal mehr.)
Im „Kurier“ erschien vor Kurzem folgendes Inserat: Suche tüchtige Pensionistin mit Freude an gepflegter Hausarbeit (Kochkenntnisse). 15 Wochenstunden, Euro 200.–, 18. Bezirk. Das fasst die Lage gut zusammen: Die durchschnittliche Pensionistin kann ein Zubrot bestimmt brauchen, sie lässt sich leicht schwarz beschäftigen, weil sie eh schon sozialversichert ist, und dass sie, wie einst die Resi, mit Freude für andere kocht, darf man doch wohl erwarten! Wetten, dass die Küche diesfalls nicht ins Wohnzimmer integriert ist?
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