Elfriede Hammerl Frust und Fun-Faktor
Das ausgebeutete Industrieproletariat von ehedem gibt es hierzulande nimmer, habe ich letztens geschrieben, was einen Leser zu empörtem Protest veranlasste. Ob ich denn nicht wisse, dass Armut und Armutsgefährdung um sich greifen? Doch, weiß ich, aber erstens hat die Armut heute andere Gesichter als im ausgehenden 19. Jahrhundert (was sie nicht erträglicher macht, nur erfordert ihre Bekämpfung andere Maßnahmen als früher), und zweitens stellt sich im Zusammenhang mit dem WählerInnenpotenzial der FPÖ die Frage: Sind es wirklich die Armen, die blau wählen?
Ich behaupte jetzt mal: Ein Gutteil der Klientel, die Strache hinterherläuft, sind keine Notleidenden im materiellen Sinn, sondern Menschen, die vom Sozialstaat ausreichend alimentiert werden. Was ihnen fehlt, ist wie schon letztes Mal angerissen eine Lebensperspektive, die sie zu sozialer Kooperation motiviert, statt zu Groll über den mangelnden Fun-Faktor in ihrem Alltag.
Die FPÖ bestätigt sie jedoch in ihrer Haltung: Ja, Benachteiligung heiße, dass andere, die Falschen, ebenfalls an den Leistungen des Sozialstaats partizipieren und dabei besser aussteigen, nämlich mit minimalem Aufwand maximalen Lebensgenuss abräumen. Und sie hat eine einfache Lösung parat: den Falschen die Teilnahme zu verweigern. Wer die Falschen sind, das unterliegt dann bis zu einem gewissen Grad der Definitionsmacht des einzelnen Unzufriedenen, weswegen auch Zugezogene gegen die Ausländer, sprich andere Zugezogene votieren.
Gegen simple Scheinlösungen anzutreten, ist schwer. Trotzdem kann sich verantwortungsvolle Politik nicht damit begnügen, ihren potenziellen WählerInnen einen quasi Rechtsanspruch auf egoistischen Hedonismus zuzugestehen, statt Lebensglück auch als Gemeinschaftsprojekt einer Gesellschaft zu sehen und zu propagieren, das auf Dauer befriedigender ist als der Versuch, Lebenslust mit einem bloß lustigen Leben erzwingen zu wollen.
Wie kommen wir weg von der Spaßgesellschaft und hin zu einer, die Freude an sinnvollen Aufgaben als vorrangig betrachtet?
Ziemlich sicher scheint, dass Bildung wichtig wäre. Nicht bloß Ausbildung als Zurichtung auf die Erfordernisse eines Arbeitsmarktes, dessen Entwicklung immer schwerer absehbar ist. Nicht nur Qualifizierung im Interesse der Wirtschaft beziehungsweise einer kleinen Gruppe von Profiteuren. Sondern Bildung als Instrument der Sinnfindung und der Persönlichkeitsentwicklung.
Klingt ein bisschen bombastisch angesichts einer beängstigenden Zahl von SchulabgängerInnen, die nicht einmal richtig lesen und schreiben können. Aber ein Mangel hebt den anderen nicht auf. Was vielen fehlt, ist nicht nur der ausreichende Erwerb von Kulturtechniken, sondern die Lust an kultureller Bereicherung insgesamt und an informierter Auseinandersetzung mit der Welt. Auch auf dem Bildungssektor öffnet sich eine Schere zwischen immer besser qualifizierten jungen Menschen einerseits und einer großen Zahl intellektuell und sozial Verwahrloster auf der anderen Seite.
Verantwortungsvolle Politik würde sich der Verwahrlosten annehmen und versuchen, ihre Defizite zu beheben, verantwortungslose bestärkt sie in ihren Defiziten, das macht sie bequem manipulierbar.
Blödheit ist scheinbar Kult geworden, dazu tragen auch die Medien tüchtig bei. Doku-Soaps bauen Randexistenzen zu Heroes auf, es entsteht und festigt sich der Eindruck, dass es reicht, als Teenager schwanger zu sein oder vor laufender Kamera zu saufen, zu speiben und Schwachsinn zu plappern, um es zu öffentlichem Ansehen zu bringen. Wozu sich mit Lernen plagen, wenn es doch offensichtlich eh nur darauf ankommt, lauter, ordinärer und schamloser zu sein als andere?
Natürlich ist ProtagonistIn einer Doku-Soap im Trash-TV kein Job, schon gar keiner, von dem man leben kann, und nichts, was einer echten Aufgabe gleichkäme, und natürlich werden die Blöden in Wirklichkeit verachtet, aber das wird nicht kommuniziert. Stattdessen gibt es ständig Berichterstattung über Leute, die es angeblich geschafft haben, mit wenig Ausstattung reichlich Ruhm und Zaster einzufahren. Da kommt Neid auf, und das Gefühl, die Welt oder das Schicksal oder eben die Politik sei einem was schuldig, einfach so.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Hier geht es um eine ganz bestimmte Gruppe von Unzufriedenen, die meiner Meinung nach einen nicht unwesentlichen Teil der blauen Gefolgschaft ausmachen.
Das heißt nicht, dass es keine anderen Gründe für Unzufriedenheit und für Groll auf die Verhältnisse gibt. Die Verhältnisse sind ja ungerecht, keine Frage. Zum Beispiel auch denen gegenüber, die sich trotz guter Bildung und Ausbildung mit prekären Beschäftigungsverhältnissen herumschlagen müssen. Aber irgendwie hab ich die Hoffnung, dass die nicht meinen, alles wäre geritzt, sobald wir nur ordentlich auf die Türken oder die Afrikaner oder die Asylanten hinhauen.
Mit anderen Worten: Veränderungswünsche sind sehr okay. Sie sollten aber von einem Bewusstsein gegenseitiger Verantwortung inspiriert sein und nicht von subjektiver Missgunst.