Elfriede Hammerl: Gehört uns

Wir waren zuerst da. Und eure Kinder müssen weg. Weil’s so ist.

Drucken

Schriftgröße

Wenn über Zuwanderung debattiert wird, landen wir irgendwann unweigerlich bei der Frage: Welche Instanz gibt uns die Berechtigung, in abgeschottetem Frieden und Wohlstand zu leben, während andere im Elend bleiben müssen?

Ich stelle sie mir immer wieder, und natürlich weiß ich darauf keine Antwort. Habe ich mir mein vergleichsweise angenehmes Leben verdient, und wenn ja, womit? Ich bin fleißig und einigermaßen anständig, aber das sind andere auch. Außerdem gibt es welche, die leben weit komfortabler als ich, obwohl – oder weil? – sie es mit der Anständigkeit nicht sonderlich genau nehmen. Schwaches Argument also.

Meine Vorfahren haben schon hier gelebt, aber das ist weder eine Leistung noch ein Verdienst. Wie es scheint, verdanke ich mein Leben in Frieden und Wohlstand vor allem einer großen Portion Glück. Dass ich es nicht aufgeben will, ist verständlich, aber habe ich das Recht, es mit Zähnen und Klauen unbarmherzig gegen alle zu verteidigen, die Pech hatten?

Na ja. Wo kommen wir hin, wenn wir jeglichen Anspruch auf das Territorium aufgeben, auf dem wir, durch welche Fügung auch immer, gelandet sind und wo wir uns einigermaßen zufriedenstellend eingerichtet haben?

Zu einer neuen Weltordnung vielleicht, aber wie soll sie ausschauen? Paradiesisch, Lamm neben Löwen, Mensch neben Mensch, und ausreichend Granatäpfel für alle? Ziemlich naive Utopie, wird nicht leicht anzusteuern sein, ist vielen wahrscheinlich eh zu fad, und vor allem: Was nützt sie uns jetzt? Jetzt leben wir unser einziges Leben, wir wollen es so gut wie möglich leben, und wenn das bedeutet, dass wir unseren Claim abstecken müssen, statt ihn dem Zugriff der Elenden auszuliefern, dann tun wir das eben.

Wir sind ja trotzdem keine Schurken. Wir haben Regeln erstellt für unser Zusammenleben und dafür, wer wann und wie zu uns dazustoßen darf, wir geben etwas ab von unserem Wohlstand, aber nicht an jede und jeden, und halt nicht mehr, als unserer Prosperität guttut, das ist doch einsehbar. So betrachten wir es, und es ist nicht ganz falsch.

Einsehbar ist dieser Standpunkt, solange wir die moralische Relativität unseres Anspruchs, das allgemeine Streben nach Glück zu verwalten und zu reglementieren, nicht aus den Augen verlieren. Erschreckend wird er dann, wenn wir unseren territorialen Vorrang zum Auftrag einer höheren Macht erklären, der uns nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, gnadenlos jeden von unserem Tisch wegzuprügeln, der sich uneingeladen ein Stück von unserem Kuchen schnappen will, wie schwach und verletzlich er auch sei.

Genauso tritt unser Innenminister aber auf. Als selbstgerechter Zuchtmeister, richtend, rächend und strafend, als habe ein alttestamentarischer Gott ihm Empathie und Menschlichkeit bei Androhung des Weltuntergangs verboten.

Wie er denn als Vater die Abschiebung von hier heimischen Kindern in ein ihnen fremdes Land empfinde, fragte ihn Lou Lorenz-Dittlbacher in einem „ZIB 2“-Interview am 29. Jänner. Sie bekam darauf keine Antwort, auch nicht, als sie mit bewunderungswürdiger Beharrlichkeit nachbohrte, um dem zähnefletschenden Schuldzuweiser vielleicht doch noch so etwas wie mitfühlendes Bedauern zu entlocken. Der Schuldzuweiser – der jegliche Verantwortung für das Kindeswohl bei der störrischen Mutter sah, die sich damit abfinden hätte sollen, dass sie hierzulande unerwünscht war – bedauerte nicht, weil er nicht mitfühlt, und er fühlt nicht mit, weil sein Vatersein für ihn absolut nichts mit dem Schicksal anderer Kinder zu tun hat. So einer reserviert seine väterlichen Emotionen für das eigene Kind, und aus. Wie hätte er als Vater antworten sollen, wenn er sich doch als Vater gar nicht angesprochen fühlte?

Der Typus ist nicht neu: rührend besorgt um die eigenen Abkömmlinge, denen es an nichts fehlen darf, aber von brutaler Kälte gegenüber fremdem Nachwuchs, schon gar, wenn er von unerwünschten Personen abstammt.
So haben wir also zwei Kinder und zwei Jugendliche, die sich in Österreich zu Hause fühlen, hier sozialisiert und ausgebildet wurden und auf dem besten Weg waren, als nützliche Mitglieder dieser Gesellschaft zu unserem Wohlstand beizutragen, mit bewaffneten Einsatzkräften in dunkler, kalter Nacht aus dem Land gezwungen.

Eines der Kinder ist hier geboren, aber auch das war kein Grund, es im Land bleiben zu lassen, denn anders als anderswo gilt in Österreich bekanntlich das  Ius sanguinis, das die Staatsbürgerschaft von der der Eltern abhängig macht, und nicht das Ius soli, demzufolge man automatisch die Staatsbürgerschaft des Landes erhält, in dem man zur Welt kommt.

Dass gerade die strengsten ZuwanderungsgegnerInnen das Ius soli heftig ablehnen, ist wenig logisch, weil ihr vaterländischer Stolz sich ja auch auf nichts anderes gründet als auf den Umstand, dass irgendwann irgendwer in ihrer Familie zur rechten Zeit am rechten Ort geboren wurde.

Im Grunde ist unsere glorreiche Geschichte vor allem eine Abfolge von mehr oder weniger brutalen, mehr oder weniger geglückten Landnahmen. Gehört mir! Geh weg da! Ich zuerst! Nicht lustig.